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Samstag, 13. September 2014

Meine Geschichte mit der Rockmusik - Teil 1

Einleitung

Wenn man mich heute fragen würde, wann ich angefangen habe Rockmusik zu hören, könnte ich die Frage nicht mit Genauigkeit beantworten. Aber es muss irgendwie an einem Sonntagnachmittag gewesen sein, als man als Familie schon fast obligaterweise vor dem TV sass. Ja, es war in der Zeit, als die Dinger noch schwarz-weiss waren, man keine Fernbedienung und gerade nur drei Sender zur Auswahl hatte und diese zudem noch während bestimmten Zeiten Sendepause hatten. Somit war Fernsehen ein echtes Highlight, ein Erlebnis und keine unkontrollierte Berieslung wie man es heute kennt. Und in der laufenden Sendung lief gerade eine komödiantische Darbietung: Die eine Person wollte etwas auf gemächliche Weise musikalisch vortragen, während ihm die andere mit E-Gitarre dazwischenfunkte. Dieser langhaarige Typ und der elektrisierende Sound seiner Gitarre waren die Geburtsstunde meiner Liebe zur Rockmusik. Es sollte zwar noch etwas dauern, bis ich diese Musik durch Kassetten und Vinylplatten entdecken würde, aber der Grundstein war gelegt, die Weichen gestellt.

Meine Herkunft

Nicastro, ein Stadtteil von Lamezia Terme (Kalabrien)
Um meine Geschichte etwas besser zu verstehen, ist es unabdingbar, mein Umfeld und meine kulturellen Hintergründe etwas zu erläutern, damit allfällige Missverständnisse oder Unklarheiten eingegrenzt werden können.

Geboren wurde ich 1972 in einem kleinen Dorf im süditalienischen Kalabrien. Meine Mutter und meine Verwandten erzählen mir immer wieder Geschichten aus den ersten Monaten und Jahren, an die ich mich natürlich nicht erinnern kann. Aber ich entnehme daraus, dass ich pflegeleicht gewesen sein soll. Die ersten Lebensjahre verbrachte ich zwar in ärmlichen Verhältnissen, aber gut umsorgt von meiner Mutter und meinen Verwandten, während mein Vater als Migrant in der Schweiz arbeitete. Als gut Zweijähriger wurde ich dann zusammen mit meiner Mutter ebenfalls in der Schweiz, genauer gesagt in Riggisberg, einem schönen Dorf im Berner Mittelland, beheimatet. Und so wurde die Schweiz zu dem Land, an welches ich mich von Grund auf erinnere. Während meine Eltern beide arbeiteten, verbrachte ich diese Zeit von Kindheitstagen an bei Tageseltern, die sozusagen zu meinen dritten Grosseltern wurden. Dies war dann auch der Grund, weshalb man mir - im Gegensatz zu den meisten meiner Landsleute, die sich vor allem in der Stadt niedergelassen hatten - keinen italienischen Akzent anhörte. Ich wuchs also Zweisprachig auf.

Riggisberg, mein eigentlicher Heimatort
In den 70er und 80er Jahren hatten es die Gastarbeiter nicht einfach. Sie erledigten nicht nur schwere und dreckige Arbeit, sondern wurden streckenweise schikaniert oder gar ausgegrenzt. Eine kulturelle Haltung, die auch deren Kinder zu spüren bekamen. Als sogenannter Secondo habe ich folglich nicht nur schöne Erinnerungen an meine Kindheit oder Schulzeit; in allem musste ich mich beweisen, bewähren oder behaupten. So war ich während der gesamten Schulzeit der einzige Ausländer in der Klasse, während sich die meisten meiner Landsleute in städtischen Gebieten niedergelassen hatten und so wenigstens jeweils als kleine Gruppe zusammenhalten konnten.


Eine wunderbare Entdeckung

Ich erinnere mich noch gut daran, dass mein Vater oft für sich sang oder vor sich her summte. In der Regel wenn er irgendetwas reparierte, meistens mit einer Zigarette im Mundwinkel, oder im Auto, als ein Radio absoluter Luxus war und folglich die Musik entweder jene des Motors oder diejenige, die man selbst von sich gab, war. In Italien hatte er einen Plattenspieler und eine Sammlung von sogenannten 45er Single Vinylplatten. Natürlich praktisch ausnahmslos Canzoni aus Italien. Mein Vater war ein Verehrer von Chansoniers wie Claudio Villa, Paolo Conte, Julio Iglesias, Toto Cutugno oder Adriano Celentano. Ich war zu klein, um mich an irgendwelche davon prägende Melodien zu erinnern. Erst Jahre später entdeckte ich jeweils in den Ferien den Plattenspieler und die Vinylsammlung und hörte mir dann immer wieder die gleichen Sachen an, die mich von der Zeichnung oder vom Bild auf der Hülle her ansprachen. Meistens ein kurzes, lustiges Hörspiel, gefolgt von einem Lied.

Interessant wurde es aber zu Hause, als ich den Kassettenrecorder zu bedienen entdeckte. So war es eine Kassette von Gianni Morandi, die praktisch in der Endlosschlaufe lief und besonders das Stück "Bella Belinda", welches ich immer wieder zurückspulte. Vermutlich das erste Musikstück, welches ich liebte. Und wenn ich es heute höre, zaubert es mir immer noch ein herzhaftes Lachen aufs Gesicht. Ja, das ist italienischer Schlager, sozusagen mein musikalisches Umfeld, in dem ich meine frühe Kindheit verbrachte. Aber nicht weit von zu Hause entfernt wartete ein grosses musikalisches Abenteuer auf mich, welches ich nach und nach entdecken sollte. Eine Reise in eine Musikwelt, wie ich sie mir ansatzweise gewünscht hätte, als ich zum ersten Mal diesen Typen mit langen Haaren und elektrischer Gitarre im TV gesehen habe. Musik, die sich tief in mein Herz verankern und mich nicht mehr loslassen sollte. Und ich konnte in meiner kindlichen Naivität noch nicht ahnen, welche Schwierigkeiten dies mit sich ziehen würde...

Musikalische Offenbarung auf Vinyl
Bei meinen Tageseltern verbrachte ich nicht nur die Zeit, während meine Eltern beide arbeiteten. Auch sonst war ich gerne dort, es war mein zweites Zuhause. Ihre eigenen Kinder waren alle bereits ausgezogen und hatten selbst bereits Kinder. Nönu, wie ich meinen dritten Grossvater zu nennen pflegte (meine Tagesmutter nannte ich Nonä), wurde wegen seinem Asthma frühpensioniert. Deshalb konnte ich sehr viel mit ihm unternehmen. Er war ein total liebenswerter Mensch, der mir in aller Geduld alles Mögliche zeigte, was die Welt so zu bieten hat. So wuchs ich in einem Umfeld von Hühnern, Fasanen, Kanarienvögel und Katzen auf, lernte zu hämmern, sägen, schrauben, schneiden und sonst allerlei Handwerk. Und wenn das Wetter es zuliess, nahm er mich mit auf seine Vespa und wir fuhren irgendwo hin; entweder in die Berge, an einen Bach oder in den Wald. Wandern, klettern, baden, bräteln, Pilze sammeln... kurz: es fehlte mir an nichts. Und dennoch entdeckte ich ein unscheinbares Juwel nicht draussen, sondern im Wohnzimmer: einen Plattenspieler.

Es war eine Musikanlage, Radio und Plattenspieler kombiniert. Eine 45er Single Sammlung war auch dabei. In meinem jungen Alter hatte ich natürlich keinen Schimmer davon, was da alles für Musik vorhanden war. Aber das meiste waren deutsche Schlagerhits oder irgendwelche Volkstümliche Musik. Doch darunter war auch eine schwarze Scheibe mit einem gelben Etikett, die ich mal, wie alle anderen auch, einfach anhören wollte. Und dann traf es mich wie aus heiterem Himmel: Da war sie wieder, diese E-Gitarre! Ein mitreissender Rhythmus, ein Sänger, der sich so richtig austobte, ein Gitarrensolo, welches mich komplett elektrisierte und von Anfang an eine Nummer zum mitsingen - das war "I'm Down" von den Beatles. Ich konnte mich kaum noch davon trennen, wollte es immer und immer wieder abspielen. Dabei hatte es ja noch eine Rückseite: "Help" war dort drauf. Auch davon war ich natürlich hell begeistert, obwohl ich dann immer wieder zu meiner ersten Entdeckung zurückkehrte. Ich konnte mich nicht mehr still halten, musste mich dazu bewegen, den Gitarristen mimen, mitsingen - hach, ich hatte einfach eine unbeschreibliche Freude!

Es muss in der ersten Klasse gewesen sein, als ich zu lesen und schreiben angefangen hatte, wo ich mir die erste Musikkassette wünschte, eine von den Beatles. Schliesslich wollte ich diese Musik auch zu Hause hören können. Und so war es an einem Samstagmorgen, als wir als Familie nach Bern einkaufen gingen, dass wir noch im "Musik Bestgen" einkehrten. Mein Vater hatte dort auch schon Kassetten gekauft und an dem Tag durfte ich mir eine aussuchen. Meine Augen fielen auf eine besondere: "Rock'n'Roll Music". Es war eine Kompilation der rockigen Stücke der Beatles wo auch "I'm Down" darauf zu finden war. Durfte sie noch anhören und wusste natürlich augenblicklich, dass ich dieses Teil haben musste.
Voller Freude und gespannt wie ein Pfeilbogen konnte ich es kaum erwarten, die Kassette zu Hause in den Rekorder zu stecken. Und zack, drin war sie. Mein Gesicht muss gestrahlt haben wie die Sonne, denn... Moment mal, was soll denn das? Irgendwie klang es plötzlich total komisch, als würde die Kassette nicht mehr in der richtigen Geschwindigkeit laufen. Oh, nein, ist etwa die Kassette kaputt? Das Band hatte es jedenfalls nicht eingeleiert und andere Kassetten funktionierten einwandfrei. Es gab nur eine Möglichkeit: austauschen. Und das taten wir dann auch. Ironischerweise funktionierte mein Patient im Musikladen einwandfrei, dennoch erhielt ich eine neue Kassette. Doch zu Hause funktionierte diese ebenfalls nicht. Als wir auch diese Kassette zurückbrachten und diese in der Anlage im Geschäft erneut einwandfrei abgespielt werden konnte, mussten wir uns damit abfinden, dass es an unserem Gerät lag, welches zu wenig Kraft besass, das Band der Kassette angemessen zu drehen. Es handelte sich nämlich um eine 120Min Kassette, also doppelt so viel Band wie auf einer herkömmlichen Kassette.
Das war ein derber Hammer, eine Riesenenttäuschung. Es wäre DIE Kassette gewesen, aber sie blieb mir einfach verwehrt. So las ich halt eine andere der Beatles aus. Die Lieder "Rock'n'Roll Music" und "Twist and Shout" waren darauf, jeweils am Anfang von jeder Seite. So hörte ich mir meistens nur das erste Stück an, spulte dann bis ans Ende der Seite, kehrte die Kassette und hörte mir das erste Stück der anderen Seite an. Und dies immer und immer wieder. Bis mich dann jeweils Mutter daran erinnerte, dass es auch noch andere Stücke auf der Kassette hat und ich mit meinem System sowohl Kassette als auch den Rekorder demolieren würde.

Als Ausländerfamilie waren wir natürlich alles andere als reich und mein Vater schaufelte so viel Geld wie nur möglich auf die Seite, um in Italien ein Haus zu bauen. Deshalb hatten wir oftmals nur das Nötigste und waren als Kinder alles andere als verwöhnt. Jedes einzelne Spielzeug stand somit wie als ein Juwel für sich. So war der Kassettenrekorder ein sehr kleiner, mit Monolautsprecher, der einfach allen gehörte. Auf der anderen Seite waren da meine Tageseltern und besonders Nönu, der mir immer wieder Geld in die Finger drückte, das ich liebend gern für Schleckereien ausgab. Spielzeuge gab es nicht nur zu Weihnachten, sondern waren vor allem auch beim zweimal im Jahr stattfindenden Dorfmarkt eine nicht wegzudenkende Angelegenheit. Diese zwei verschiedenen Welten sollten dann auch irgendwann mal zu einem inneren Konflikt führen, doch das kümmerte mich zu diesem Zeitpunkt natürlich überhaupt nicht. So wurde meine allererste Vinylplatte ein Geschenk von meinen Tageseltern, die es offenbar toll fanden, wie mich die Musik der Beatles begeisterte. Es war das rote Kompilation-Doppelalbum 1962-1966. Und sobald Nönu vom Mittagsschlaf, den er täglich auf dem Sofa im Wohnzimmer hielt, aufwachte, drehten sich die beiden Scheiben natürlich im Dauerlauf.

Meine allererste Vinylscheibe
Ich war einfach hingerissen von dieser Musik. Oft packte ich mir einen Federballschlegel, einen Farbstift oder sonst irgend einen geeigneten Gegenstand und spielte als Luftgitarrist oder Playbacksänger zur Musik mit. Am liebsten wäre ich einer der Beatles gewesen. Und ich erinnere mich noch sehr gut daran, als ich meinem Pultnachbar von den Beatles vorschwärmte und meine Begeisterung für die Rockmusik offenbarte. Ich erklärte ihm, dass ich eine Band gründen wollte und fragte ihn, ob er denn mitmachen würde. Und obwohl wir viel in unserer Freizeit zusammen unternahmen, war er nicht sonderlich begeistert von meiner Idee. Er machte mir klar, dass er einmal den Hof seines Vaters weiterführen würde und keine Zeit für sowas habe. Verstand ich irgendwie nicht so ganz, aber ich musste es akzeptieren.
Auch meine Eltern waren alles andere als begeistert von meinem Wunschtraum. Mir war natürlich nicht bewusst, wie steil der Weg eines Musikers ist und wie hoch das Risiko, dass man es zu etwas bringt, beziehungsweise davon leben kann. Irgendwie wurde ich jäh aus einer Traumwelt gerissen und spürte die ersten eisigen Winde der Realität. Konnte zu dieser Zeit noch nicht ahnen, welche Opfer meine Eltern bereits gebracht hatten, um mir das damalige Leben und eine hoffnungsvolle Zukunft zu ermöglichen. Folglich war da ein Junge mit utopischen Vorstellungen schlicht zur falschen Zeit am falschen Ort. Trotzdem blieb ich ein Musikfan. Und irgendwie bin ich zunehmend davon überzeugt, dass meine Mutter alles nur mögliche daran gesetzt hätte, um meinem Wunschtraum zu folgen und ihn verwirklichen zu können.
Aber mein Vater trug eine schwere Bürde und viel Verantwortung und hätte am liebsten einen Doktor aus mir gemacht, damit ich mir um meinen Lebensunterhalt keine Sorgen machen müsste. Und dennoch schlummerte auch in ihm ein riskanter Wunsch für meine Zukunft: Profifussballer. Er bemühte sich schon früh damit, in mir die Leidenschaft des Fussballs zu wecken. Aber bis zu meinem zehnten Lebensjahr interessierten mich Fussbälle überhaupt nicht. Da spielte ich lieber im Sandkasten, mit Modell-Baumaschinen oder hörte einfach Musik und sang leidenschaftlich mit. Auch meine Tageseltern holten mich auf den Boden der Realität und erklärten mir, dass ich zum Musiker werden ins Konservatorium (Musikhochschule) müsste, auch wenn ich nur Sänger werden wollte. Immerhin aber spornten sie mich an, ein Instrument zu lernen. Am liebsten hätte ich natürlich Gitarre gelernt, doch die Option Musikschule war für unsere finanziellen Verhältnisse schlichtweg nicht realisierbar. So entschied ich mich, den Blockflötenunterricht in der Schule ab der 2. Klasse zu besuchen, da man damit in mir die Hoffnung erweckte, dass dies ein idealer Einstieg in die Musikwelt sein könnte.


Teil 2  hier abrufbar

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