In der frühen Schulzeit bereits auf Strom
Da war er also, dieser Hoffnungsschimmer, dass ich es vielleicht doch noch zum Musiker schaffen würde. Zumindest verbrachte ich meine ersten zwei Schuljahre mit diesem schon fast geheimen Wunsch. Doch der Blockflötenunterricht bereitete mir alles andere als Freude. Die Begeisterung, ein Instrument zu lernen wurde durch die Tatsache erstickt, dass mir der Sound der Flöte einfach nicht wirklich zusagte. Ich wollte Rock'n'Roll und bekam es stattdessen mit langweiligem Gepfeife zu tun. Trotzdem strengte ich mich an und versuchte das Beste daraus zu machen.Nicht wirklich Rock'n'Roll |
Natürlich lief in der Schule auch sonst sehr viel und so war ich anschliessend zu Hause mit Hausaufgaben beschäftigt. Meine Eltern hatten dafür die optimalen Leute für mich gefunden, um die Aufgaben von Grund auf gewissenhaft und strebsam zu erledigen. So verbrachte ich unzählige Stunden bei Familie Brand und schrieb zum Beispiel Diktate bis ich sie mehrmals hintereinander ohne Fehler schaffte. Dieses disziplinierte Verhalten verschaffte mir auch im Deutsch, einem Fach, welches mir als Ausländer erwartungsgemäss Schwierigkeiten bereiten sollte, Höchstnoten. Aber für Brands war ich eigentlich kein Ausländer, sie sahen mich als Schweizer an.
Und meine Freizeit? Natürlich gesellten sich durch die Schule nach und nach Kameraden in meinem Umfeld und dennoch verbrachte ich sehr viel Zeit bei meinen Tageseltern. Der Plattenspieler wurde, nebst allen vielfältigen kreativen Aktivitäten rund ums Haus, immer wieder zum Mittelpunkt des Geschehens. Die Scheiben der Beatles hatten dabei bereits unzählige Umdrehungen hinter sich gebracht und ich kannte viele der Songs unterdessen in- und auswendig. Auch zu Hause hatte ich mich an den Kassetten sattgehört, die mich interessierten. Nebst den Beatles kramte ich auch Kassetten meiner Eltern hervor und entdeckte neben Adriano Celentano oder Toto Cutugno auch Umberto Tozzi. Seine rockigen Sachen wie "Stella Stai" oder "Dimmi di No" und vor allem das unsterbliche "Gloria" hatte ich sofort in mein Herz geschlossen und drehten endlose Runden im Kassettenrekorder. Aber das war noch nichts im Vergleich mit dem, was bald mal folgen sollte.
Unterdessen hatten wir neue Nachbarn bekommen: eine Familie aus Kalabrien, die wir bereits kannten. Sowohl unsere Väter, wie auch unsere Mütter arbeiteten jeweils zusammen. Saverio, der älteste Sohn, war zwei Jahre älter als ich und wurde für mich so etwas wie der ältere Bruder, den ich nie hatte. Irgendwo schaute ich immer zu ihm hinauf. Und auch wenn wir aufgrund des Altersunterschiedes verschiedene Kameraden aus der Schule hatten, gab es hin und wieder Dinge, die wir gemeinsam unternahmen. Er war zum Beispiel der erste, der mir ein Poster der Beatles, genauer gesagt war es John Lennon, schenkte. So erinnere ich mich noch daran, dass wir einmal über Musik sprachen und ich ihm natürlich über die Beatles und Rock erzählte. Er erklärte mir dann, dass er von einer Gruppe irgendwie mit dem Namen "Deisi-Deisi" oder so ähnlich, gehört habe, die anscheinend so harten Rock mit elektrischen und lauten Gitarren, Geschrei und so machen würde. Da wurde ich natürlich sofort hellhörig! So musste ich bei der nächsten Gelegenheit mal im Coop nachsehen, ob die sowas in ihrem Plattenregal führen. Man stelle sich vor: Anfang 80er Jahre und ein neues, gut eingerichtetes und ausgerüstetes Coop in einem Dorf von gut 2000 Einwohnern, welches Kassetten und vor allem Vinylschallplatten im Sortiment führt. Kein Wunder, dass Leute aus den Nachbardörfern nach Riggisberg zum Einkaufen - vor allem Samstags - pilgerten. Dort hatte ich bereits das rote Doppelalbum der Beatles gefunden und nun war ich am Blättern.
Mein Einstieg in die Welt des harten Rock |
Natürlich musste ich Nönu von meiner Entdeckung erzählen, der sofort in die Hosentasche griff und mir eine 20er Note in die Finger drückte. Ich huschte ab und wenig später tauchte ich mit der Scheibe in der Hand wieder auf und setzte mich damit vor den Plattenspieler. Was sich dann abspielte, war wie ein Stromstoss: Ein ganz kurzes Intro mit der Gitarre und bereits setzt ein elektrisierendes Gitarrenriff ein, ein kurzer Schrei des Sängers - bei dem Nönu sofort meinte, man habe jemandem mit dem Hammer auf die Finger gehauen - und ab die Post. Was für ein Soundgewitter! "Shot Down in Flames" hiess dieses Stück, das erste, das ich je von AC/DC gehört hatte. Irrtümlicherweise hatte ich Seite 2 der Platte aufgelegt und somit die Reihenfolge des Albums, das mit dem Titeltrack "Highway to Hell" begonnen hätte, ein bisschen auf den Kopf gestellt. Aber was spielte das schon für eine Rolle, schliesslich hatte ich eben so richtige, elektrisierende Gitarrenmusik entdeckt! Und die spielte ich jetzt rauf und runter. Beim Titeltrack "Highway to Hell" stellte sich heraus, dass es einige Sprünge in den Anfangssequenzen gab, also ein Fehler im Vinyl selbst, weshalb ich das Stück praktisch nie abspielte. Ausserdem gefiel es mir, im Gegensatz zu den anderen Stücken, nicht besonders.
Wenn ich also bei Nönu und Nonä war, gab es auf dem Plattenteller nur AC/DC. Und obwohl es hin und wieder hiess, ich solle etwas leiser stellen, da sie mit der Musik nicht sonderlich viel anfangen konnten, ertrugen sie meinen neu entdeckten Sound in ausharrender Geduld. Es kam auch vor, dass die im Nachbardorf wohnende Tochter Trudi zwischendurch mit ihrem Sohn zu Besuch kam. Und einmal war ich gerade voll am sounden, als sie mich fragte: "Was hörst du denn da für Musik?" "Eissi-Diissi!" erwiderte ich und streckte ihr voller Freude die Plattenhülle entgegen. Sie begutachtete das Bild, verzog etwas das Gesicht und fragte weiter: "Was heisst das denn auf der Plattenhülle, unten am Rand?" "Highway to Hell" buchstabierte ich und sprach es in einem Pseudoenglisch so nach, wie ich es vom Song her kannte. "Und was heisst das? Weisst du wovon sie singen?" Gute Frage. Hatte ich mich nie gefragt, mir gefiel einfach die Musik. "Weisst du", fuhr sie fort "ich will meinem Bub auch etwas Musik kaufen, möchte aber wissen, wovon die Texte handeln." Vermutlich verstand sie nicht mehr Englisch als ich, musste aber durch das Cover mit dem gehörnten Angus Young ziemlich abgeschreckt worden sein. Das war das erste Mal, dass ich mir Gedanken darüber machte, wovon und worüber überhaupt gesungen wird. Aber irgendwie war mir das auch schnell wieder schnurz. Was für mich hingegen klar war: mit AC/DC hatte ich meine neue Lieblingsmusik. Nicht dass mir die Beatles nicht mehr gefielen, aber bei diesem Stromgeladenen Hard Rock mussten sie bei mir hinten anstehen. Offenbar machten AC/DC den Beatles bereits Konkurrenz bevor mir dies überhaupt bewusst war. Als ich nämlich das John Lennon-Poster abnehmen wollte, entdeckte ich auf der Rückseite Angus Young mit seiner Gitarre. Somit konnte ich das Poster einfach wenden und schon hing mein neuer Held bereits an der Wand. Und sie sollten für ein paar Jahre meine Lieblingsband bleiben.
Inzwischen das meistverkaufte Hardrock Album aller Zeiten |
Zu Hause war vorerst noch nicht viel von dieser elektrisierenden Musik wahrzunehmen, ausser der Tatsache, dass ich ständig irgendwelche Sachen davon sang oder Gitarrenriffs imitierte. Schliesslich hatten wir ja keinen Plattenspieler und Kassette hatte ich davon vorerst auch noch keine. Und es kam einmal mehr das Verlangen auf, Gitarre zu spielen. Am liebsten eine E-Gitarre. Aber man erklärte mir immer wieder, dass ich mit einer normalen, akustischen Gitarre beginnen müsste. Musste das sein? Ich wollte doch einfach diesen stromgeladenen Sound selber spielen können und auf der akustischen Klampfe klang das einfach so brav und langweilig. Zumindest was ich bisher gehört hatte. Schliesslich hatte ich selber noch nie auf irgend einer Gitarre gespielt, hielt höchstens als kleiner Bub ein kleines Modell in den Händen und wurde damit fotografiert. Das war alles. Aber jetzt, nachdem ich das Flötenspielen aufgegeben hatte, schien mir das Gitarrenspielen wie eine hoffnungsvolle Einladung. Und tatsächlich stand ich eines Samstagmorgens im Musikgeschäft Krompholz in Bern, zusammen mit meinem Vater, um mir eines dieser begehrten Saiteninstrumente zu erwerben. Einerseits durch die finanzielle Situation dazu gezwungen und anderseits durch den Verkäufer entsprechend beraten, verliess ich den Laden etwas enttäuscht mit einer akustischen Gitarre. Wenn ich mich nicht täusche, muss es irgend eine Travel Size Gitarre gewesen sein, da sie kleiner war, als es eine herkömmliche Akustikgitarre in der Regel ist. Wie auch immer, mein Traum einer E-Gitarre musste ich wohl oder übel begraben. Und meine Begeisterung für das neue Instrument hielt sich auch zu Hause entsprechend in Grenzen und da in unserer Familie niemand etwas vom Gitarrenspielen verstand, blieb das Teil vorerst in der Tasche oder diente höchstens als Playbackinstrument. Allerdings sah sie zu wenig rockig aus, weshalb ich mir dann aus einem Stück Dachlatte und Hartfaserplatte eine meinem Alter entsprechend eingeschränkte Kopie von Angus Youngs Gitarre bastelte, die ich bei meinen Tageseltern gelagert hielt und zwischendurch hervorkramte, um zur Musik abzurocken.
Anno 1981 - early rockin' days... |
Teil 3 hier abrufbar
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