Aus einer Sammlung von:
- Aktuelle, sowie vergessene musikalische Perlen aus der Welt des Rock und Heavy Metal
- Lohnenswerte Filme
- Gedanken aus aktuellem Anlass

Samstag, 20. September 2014

Meine Geschichte mit der Rockmusik - Teil 3

Teil 1  hier abrufbar
Teil 2  hier abrufbar

Erste Widerstände

Während ich an die beiden Jahre im Kindergarten überwiegend gute Erinnerungen habe, wehte in der Schule von Anfang an ein ganz anderer Wind. Mit jedem zunehmenden Jahr lernte ich die bittere Realität des Ausländerseins und somit einer Randfigur kennen. So wurde ich wegen meinem bereits in den ersten Klassen stark vorhandenen Haarwuchs an den Armen als Affe gehänselt oder man machte sich über meine grosse Nase oder meine O-Beine lustig. Natürlich erscheinen auch mir solche Sachen heute als Bagatelle, aber für mich - in der damaligen Situation, als einziger Ausländer der Klasse und meistens auch in der Freizeit - waren es wie Messerstiche mitten ins Herz. War ich in meiner frühen Kindheit eine unbekümmerte und lebensfrohe Natur, so wurde ich zunehmend still und vor allem schüchtern. Immer mehr bekam ich es mit der Angst zu tun, etwas falsch zu machen oder schon nur etwas Falsches zu sagen. Denn ich fand es alles andere als angenehm, wenn man über mich lachte. Und um dem Ganzen noch eins draufzusetzen, gab es ein Wort, das mich komplett zerstückelte: Tschingg. Auch wenn der Ursprung dieses Ausdrucks auf ein italienisches Fingerspiel - ähnlich wie zum Beispiel "Schere, Stein, Papier" oder "Gerade oder Ungerade" - zurückzuführen und von der italienischen Zahl Fünf abgeleitet ist, stand es von Anfang an als abwertende Dialektbezeichnung für einen Italiener. Nicht selten wurde das Wort erweitert, in etwa "Sau-Tschingg" oder "Dreck-Tschingg". Ja, damit musste ich leben, hatte keine andere Wahl. Deshalb konnte es durchaus vorkommen, dass ich weinend nach Hause kam. Meine Eltern konnten mir dabei nicht helfen, waren sie doch in einer ähnlichen Situation. Man duldete einfach stillschweigend.

Einfach unwiederstehlich dieser Boogie Rock
Das einzige, was mich all dies komplett vergessen liess, war meine kleine Musikwelt. Das war meine Flucht, der Ort, an dem ich wieder aufblühte. Hier konnte ich sein wie ich wirklich war, konnte mich unbekümmert austoben und meiner Freude freien Lauf lassen. Inzwischen hatte sich meiner Musiksammlung eine weitere Band gesellt: Status Quo. Entdeckt hatte ich die Band bei den Jungs von Brands, die bereits eine etwas grössere Sammlung hatten. Dazu kam es, als ich wiedermal zum Aufgabenmachen dort war. Irgendwann stellte sich heraus, dass mir AC/DC total gefiel und ich sollte doch mal meine geliebte Platte mitbringen. So hörte ich zum ersten Mal "Shot Down in Flames" über eine richtig gute Musikanlage mit tollem, satten Bass. Den Jungs gefiel die Musik auch, hatten sie doch beide ähnliche Musik in ihrer Sammlung. Dort hörte ich zum Beispiel auch zum ersten Mal etwas von Krokus, dem Schweizerstolz in Sachen Rockmusik, die ich aber erst etwas später wirklich zu schätzen lernte. So kriegte ich ein paar Scheiben ausgelehnt, darunter "Just Supposin' " von Status Quo. Und obwohl sie in keiner Weise den Platz meiner Stromlieblinge streitig machen konnten, war ich von Anfang angetan von ihrem bluesigen Boogie Rock. Dies veranlasste mich dazu, mir am nächsten Dorfjahrmarkt eine Kassette von Status Quo zu kaufen.

Apropos Jahrmarkt: Es gab in Riggisberg zweimal im Jahr einen sogenannten "Dorfmärit", davon einmal mit "Rösslispiel", einem Karussell und mit Schiessbude und ähnlichen Lunapark-mässigen Attraktionen. Für Kinder war dies das Jahreshighlight schlechthin. Am Freitagmorgen wurden Stände und Karussell aufgestellt und spätestens ab dem Mittag war im Dorf ein Freudenfest. Spielzeuge, Schleckereien, Attraktionen - schlicht alles, was das Kinderherz begehrt. Während der Markt am Abend bereits wieder abgeräumt wurde, blieb das Karussell auch am Samstag in Betrieb. Da drehte ich natürlich auch meine unzähligen Runden. Als zusätzlicher Ansporn diente ein Fangarm, in dem Ringe platziert wurden, die man beim vorbeidrehen vereinzelt herausziehen konnte. Einer dieser Ringe war goldig und wenn man es schaffte, diesen Ring zu ergattern, erhielt man eine Rote Fahne und somit eine Gratisfahrt. Durfte mich auch etliche Male zu den Flinken und Glücklichen zählen, was mir - auch für einen kurzen Moment - Freude und eine gewisse Genugtuung in Anbetracht mancherlei Umstände verlieh. Aber der Dorfmärit war auch sonst der Tag, an dem ich mich regelrecht verwöhnt fühlte. Nönu und Nonä berappten mir so manch kleines Spielzeug, meistens irgend eine Modellbaumaschine oder ein kleiner Gummidinosaurier. Auch meine Mutter liess es mir an diesen Tagen an nichts fehlen: Ob rote Tickets fürs Karussell, eine Wasser- oder Kügelipistole - immer wieder gab es Dinge, an denen ich mich freuen konnte. Und genau an einem dieser Markttagen konnte ich mir "Never too Late" von Status Quo kaufen.

Ehm, exgüsi, gibt's da auch noch etwas rockiges?
Im Gegensatz zu "Just Supposin'" war der Sound auf "Never too Late" eindeutig rauher, direkter und ganz allgemein etwas härter. Dies sollte schliesslich in der Geschichte von Status Quo das härteste Album bleiben, eine Sounddichte, die sie - trotz allen vorherigen und nachfolgenden Hits - nie mehr erreichten. Die Kassette gefiel mir jedenfalls sehr gut und lief folglich zu Hause rauf und runter. Lediglich eine andere Kassette überbot sie an Drehzahlen im Gerät: "If you want Blood" von AC/DC. Die Geschichte, wie ich zu diesem Album kam, ist etwas unüblich. Aber zu dieser Zeit hatte ich noch keine Ahnung, welche Scheiben von AC/DC überhaupt existierten. Die einzigen Quellen waren das Plattenregal im Coop, bei dem die von mir gekauften Platten lange die einzigen von AC/DC waren, die Kassettenstände beim Jahresmarkt, die aber grösstenteils nur Volkstümliche oder aktuelle Popmusik anboten, eine kleine Kassettenauswahl im Elektro- und im Radio/TV-Geschäft oder die Musikabteilung im Ryfflihof Coop in der Stadt Bern, die aber auch fast ausnahmslos nur die aktuellen Sachen im Sortiment führten. Und "If you want Blood" gehörte damals schon zum Backkatalog. Wie dem auch sei, hatte Thomas, ein Klassenkamerad, eine Geburtstagsparty bei sich zu Hause organisiert. Die Musik, die dort lief war praktisch während der ganzen Zeit Boney M oder Abba. Keine Ahnung warum, aber mit dieser Popmusik konnte ich mich einfach nicht anfreunden. Alles schien mir so gestellt brav, so scheinheilig. Alle fanden es toll, nur ich nicht. Und da entdeckte ich eine Kassette von AC/DC. Fragte Thomas, ob er diese auch mal abspielen würde. Irgendwann steckte er dann die Kassette tatsächlich in den Recorder und ein paar Stücke lang lief sie auch. Doch ausser mir und Thomas schien die Musik niemandem wirklich zu gefallen, denn nach und nach wurde der Raum, in dem die Musik lief, verlassen.
Das war für mich einer dieser Schlüsselmomente, wo ich merkte, dass ich mir mit AC/DC und allgemein mit Rockmusik wahrscheinlich keine Freunde machen würde. Nun denn. Ich merkte mir das Bild der Kassette und bei der nächsten Möglichkeit, die sich mir bot, erwarb ich sie mir und brachte somit den ersten Tonträger von AC/DC nach Hause, nachdem ich bereits zwei Vinylplatten bei meinen Tageseltern hatte. Es zeichnete sich also unmissverständlich ab, dass eine harte und wilde Form der Rockmusik einfach zu meinem Leben gehörte, da sie mich schlicht glücklich machte. Und diesen Fluchtort der Freude brauchte ich, mehr als mir manchmal lieb war.

Strommusik für Zuhause
In der Schule zeichnete sich nicht nur durch den Übergang in die dritte Klasse und somit dem Wechsel der Lehrerin eine Änderung ab, auch generell fand ich mich immer weniger zurecht. Wie es sich ein jeder Mensch grundsätzlich wünscht, möchte man wahrgenommen werden und einfach akzeptiert sein. Und die dritte Klasse bot mir diesbezüglich eine enorme Herausforderung. Nicht dass es mir schon genug schwer gefallen wäre, in meiner Freizeit mit Kameraden bei irgendwelchen Spielen klarzukommen, ohne dass ich zum Spottgeschütz wurde, setzte die Lehrerin mit ihrer Strenge noch eins obendrauf. So wurde ich durch eine Trennungsübung jäh aus meinen bisherigen Traumquoten der 5.5 und 6 ins Jammertal befördert. Darüber hinaus waren beide geschriebenen Seiten im Heft quer durchgestrichen, was soviel hiess wie "noch einmal neu". Ich war wie gelähmt. Die ersten Gedanken waren "Was wird mein Vater dazu sagen? Er wird bestimmt ausrasten! Wie konnte das bloss passieren?" Dass es in der dritten Klasse von der Strenge her anziehen würde, konnte ich zu diesem Zeitpunkt nicht wissen. Völlig erschlagen kehrte ich mit meinem Missgeschick nach Hause, ein Heft so schwer wie Blei und ein Herz dessen Pulsschlag ich am ganzen Körper wahrzunehmen schien. Und der Moment kam, dass ich meinem Vater das Heft zeigen musste und ich zwar daneben stand, aber am liebsten im Boden versunken wäre. Wie das Ganze detailliert vor sich ging, weiss ich nicht mehr. Es war einer dieser Momente, wo ich angeschrien und bestenfalls geschlagen wurde - in anderen Worten Momente, die ich über mich ergehen lassen musste und mir schnellst möglichst vorbei wünschte.

Als ich die Trennungsübung zur Korrektur als Hausaufgabe zu Brands brachte, reagierten sie zu meiner Erleichterung ganz anders. Eva war der Ansicht, dass die Lehrerin nicht so streng hätte korrigieren sollen, da es ja immerhin erst der Anfang der dritten Klasse sei und man zum ersten Mal so etwas gemacht habe. Brands waren zwar streng und verlangten Fleiss und Disziplin von mir, wussten aber auch genau über meine Bemühungen und Fähigkeiten Bescheid. Sie waren im Bild, was in der Schule lief und standen immer hinter mir, wenn es diesbezüglich irgendwelche Schwierigkeiten gab. So kam es auch vor, dass sie mich vor meinem Vater verteidigten, der jede Kleinigkeit als Vorwand gebrauchte, mich noch mehr anzustrengen. Sie waren es auch, die in mir ein gewisses Selbstvertrauen erweckten und mir eine Identität jenseits der italienischen Grenzen zuschrieben. Für sie war klar, dass ich kein Italiener mehr war. Meine Eltern sahen dies natürlich anders und sowohl ihre, als auch meine Erlebnisse wiederlegten diese Ansicht. Folglich befand ich mich von Anfang an in einer Zwickmühle, da ich durch meine Umgebung, die fast ausschliesslich aus Schweizern bestand, entsprechend geprägt wurde, anderseits aber in einer typischen süditalienischen Familie lebte, deren Wurzeln noch heute unverkennbar in meiner Natur wahrzunehmen sind.

Und genau dieses Dilemma wurde mir in mancherlei Hinsicht immer wieder zum Verhängnis. In der Schule und in der Freizeit war ich einfach der Italiener und in Italien war ich "lo Svizzero", der Schweizer. Immer wieder war ich hin- und hergerissen, hatte keine wirkliche Identität. Meine Verwandten in Italien vergötterten mich geradezu, allein schon wegen der Tatsache, dass sie mich einmal, höchstens zweimal im Jahr zu Gesicht bekamen. Bei Cousins und Cousinen stellte es aber bereits an, weil da die kulturellen Schranken und somit auch Interessen und Verhalten oftmals im Weg standen. Und trotzdem nahm ich immer wieder ein Stück Nostalgie und Wehmut mit aus den Ferien zurück. Allerdings wurden diese innert kürzester Zeit im schweizerischen Alltag gnadenlos erstickt.

Und meine Liebe zur Rockmusik machte dieses Identitätsproblem nicht einfacher. Im Gegenteil. Das Dorf, in dem ich zur Welt gekommen bin, war in Sachen Musik nur auf einheimische Musik fixiert. Rockmusik war in ihren Augen die Musik der Rebellen und Vagabunden. AC/DC wurde also von Anfang an ausgeschlossen, hatte keine Daseinsberechtigung in der Mitte von Menschen, die sich nach einem besseren Leben sehnten und zudem erzkatholisch, vereinzelt sogar abergläubisch waren. Leute, die meistens auf dem absoluten Existenzminimum lebten, es aber nicht scheuten, ihr Hab und Gut mit anderen zu teilen. Der Ruf von Offenherzigkeit und Gastfreundschaft der Italiener ist somit nicht irgendein Mythos, sondern Realität - zumindest in der Mitte von Verwandten und Leuten, die sich kennen. Aber war irgendwer in der Familie oder in der Verwandtschaft mal nicht gerade so, wie es den Massstäben entsprechen sollte, konnte man damit plötzlich sehr hart ins Gericht gehen. So wunderte es zum Beispiel wenig, wenn ein junger Mann, der sich die Haare wachsen liess, plötzlich als "Drogato", also Drogensüchtiger, oder als Vagabund verschrien wurde - auch wenn er mit Drogen überhaupt nichts am Hut hatte. Ironischerweise haben mich lange Haare bei Männern immer fasziniert, fand das immer total lässig und cool, aber geprägt durch meine Kultur wurde mir von Anfang an klargemacht, was davon zu halten ist. Und mit diesem immer grösser werdenden Widerstand, welcher durch die verschiedenen Konturen der Rockmusik sich in meinem noch total jungen Leben fein abzeichneten, sah ich mich zunehmend konfrontiert. Rock hiess für mich Freude, Freiheit und Frieden. Stattdessen erntete ich damit Hohn unter Schulkameraden und allgemein die Aussenseiterrolle in der allgemeinen Mehrheit der Gesellschaft. Ob in der Schule, ob zu Hause, zu Besuch oder in der Freizeit - sobald Rockmusik oder AC/DC angesprochen wurden, waren die Rollen verteilt. Meine war fast ausnahmslos die des Verlierers. Aber wollte ich überhaupt ein solches Leben führen? Ein Leben, wo man mit dem, was einem lieb ist, aneckt? Natürlich war ich zu diesem Zeitpunkt viel zu jung, um diese Widerstände zu verstehen, geschweige denn, mich ihnen zu stellen. Ich gab nach, wollte akzeptiert und geliebt sein und versuchte deshalb, auf dem Zug der Allgemeinheit mitzufahren.



Donnerstag, 18. September 2014

Meine Geschichte mit der Rockmusik - Teil 2

Teil 1 hier abrufbar

In der frühen Schulzeit bereits auf Strom

Da war er also, dieser Hoffnungsschimmer, dass ich es vielleicht doch noch zum Musiker schaffen würde. Zumindest verbrachte ich meine ersten zwei Schuljahre mit diesem schon fast geheimen Wunsch. Doch der Blockflötenunterricht bereitete mir alles andere als Freude. Die Begeisterung, ein Instrument zu lernen wurde durch die Tatsache erstickt, dass mir der Sound der Flöte einfach nicht wirklich zusagte. Ich wollte Rock'n'Roll und bekam es stattdessen mit langweiligem Gepfeife zu tun. Trotzdem strengte ich mich an und versuchte das Beste daraus zu machen.

Nicht wirklich Rock'n'Roll
Das Highlight bildete dabei das Krippenspieltheater, bei dem ein paar Weihnachtslieder sowohl auf der Bockflöte gespielt, als auch gesungen wurden. Dabei hatte ich mir die Rolle des Josef aufgehalst. Und zwar etwas unfreiwillig, da man bei der Rollenverteilung die Aufgabe gefasst hatte, auf einen Zettel die eigene Wunschrolle aufzuschreiben. Irgendwie habe ich dies zu Hause völlig vergessen zu überdenken, schrieb stattdessen unmittelbar vor dem Unterricht "Josef" auf einen Zettel, da es gerade die einzige Figur war, die mir in den Sinn kam. Die Rolle wurde mir dann auch diskussionslos zugeteilt. Allerdings hatte ich nicht damit gerechnet, dass ich am meisten Sprechtext hatte und sogar noch alleine singen musste. Wie dem auch war, bereitete mir das Ganze nach intensivem auswendig lernen und üben keine nennenswerte Schwierigkeiten. Lampenfieber war bei den Aufführungen das einzige, woran ich mich noch erinnern kann, aber das gehört ja bekanntlich dazu wie das Amen in der Kirche. Trotz dieser Erfahrung hielt sich meine Begeisterung für das Flötenspielen in Grenzen. Und als man sich Ende des zweiten Schuljahres dafür entscheiden musste, ob man weiterhin den Flötenunterricht besuchen will, schmiss ich den Bettel hin. Es war eine enorme Erleichterung für mich. Warum sollte ich weiterhin ein Instrument spielen, welches mir statt Freude zu bereiten, einfach nur noch eine Last war?

Natürlich lief in der Schule auch sonst sehr viel und so war ich anschliessend zu Hause mit Hausaufgaben beschäftigt. Meine Eltern hatten dafür die optimalen Leute für mich gefunden, um die Aufgaben von Grund auf gewissenhaft und strebsam zu erledigen. So verbrachte ich unzählige Stunden bei Familie Brand und schrieb zum Beispiel Diktate bis ich sie mehrmals hintereinander ohne Fehler schaffte. Dieses disziplinierte Verhalten verschaffte mir auch im Deutsch, einem Fach, welches mir als Ausländer erwartungsgemäss Schwierigkeiten bereiten sollte, Höchstnoten. Aber für Brands war ich eigentlich kein Ausländer, sie sahen mich als Schweizer an.

Und meine Freizeit? Natürlich gesellten sich durch die Schule nach und nach Kameraden in meinem Umfeld und dennoch verbrachte ich sehr viel Zeit bei meinen Tageseltern. Der Plattenspieler wurde, nebst allen vielfältigen kreativen Aktivitäten rund ums Haus, immer wieder zum Mittelpunkt des Geschehens. Die Scheiben der Beatles hatten dabei bereits unzählige Umdrehungen hinter sich gebracht und ich kannte viele der Songs unterdessen in- und auswendig. Auch zu Hause hatte ich mich an den Kassetten sattgehört, die mich interessierten. Nebst den Beatles kramte ich auch Kassetten meiner Eltern hervor und entdeckte neben Adriano Celentano oder Toto Cutugno auch Umberto Tozzi. Seine rockigen Sachen wie "Stella Stai" oder "Dimmi di No" und vor allem das unsterbliche "Gloria" hatte ich sofort in mein Herz geschlossen und drehten endlose Runden im Kassettenrekorder. Aber das war noch nichts im Vergleich mit dem, was bald mal folgen sollte.

Unterdessen hatten wir neue Nachbarn bekommen: eine Familie aus Kalabrien, die wir bereits kannten. Sowohl unsere Väter, wie auch unsere Mütter arbeiteten jeweils zusammen. Saverio, der älteste Sohn, war zwei Jahre älter als ich und wurde für mich so etwas wie der ältere Bruder, den ich nie hatte. Irgendwo schaute ich immer zu ihm hinauf. Und auch wenn wir aufgrund des Altersunterschiedes verschiedene Kameraden aus der Schule hatten, gab es hin und wieder Dinge, die wir gemeinsam unternahmen. Er war zum Beispiel der erste, der mir ein Poster der Beatles, genauer gesagt war es John Lennon, schenkte. So erinnere ich mich noch daran, dass wir einmal über Musik sprachen und ich ihm natürlich über die Beatles und Rock erzählte. Er erklärte mir dann, dass er von einer Gruppe irgendwie mit dem Namen "Deisi-Deisi" oder so ähnlich, gehört habe, die anscheinend so harten Rock mit elektrischen und lauten Gitarren, Geschrei und so machen würde. Da wurde ich natürlich sofort hellhörig! So musste ich bei der nächsten Gelegenheit mal im Coop nachsehen, ob die sowas in ihrem Plattenregal führen. Man stelle sich vor: Anfang 80er Jahre und ein neues, gut eingerichtetes und ausgerüstetes Coop in einem Dorf von gut 2000 Einwohnern, welches Kassetten und vor allem Vinylschallplatten im Sortiment führt. Kein Wunder, dass Leute aus den Nachbardörfern nach Riggisberg zum Einkaufen - vor allem Samstags - pilgerten. Dort hatte ich bereits das rote Doppelalbum der Beatles gefunden und nun war ich am Blättern.

Mein Einstieg in die Welt des harten Rock
Da sprang mir ein Cover sofort vor die Augen: es waren fünf Männer darauf abgebildet, von denen einer Hörner auf dem Kopf hatte. Und es war ein Schriftzug erkennbar AC, ein Blitz und DC. Hm, keine Ahnung, ob dies die Band war, von der Saverio gesprochen hatte, aber das Cover liess mich irgendwie nicht mehr los. Vermutlich erinnerte es mich an die Comichefte "Gespenster Geschichten" und "Spuk Geschichten", welche ich hin und wieder aus dem Heftregal herausholte und diese neben Micky Maus, Donald Duck oder Fix und Foxi zur beliebten Lektüre wurden. Das Coop-Personal sah solche Sachen natürlich nicht gerne, da ich die Hefte in den meisten Fällen wieder zurücklegte.
Natürlich musste ich Nönu von meiner Entdeckung erzählen, der sofort in die Hosentasche griff und mir eine 20er Note in die Finger drückte. Ich huschte ab und wenig später tauchte ich mit der Scheibe in der Hand wieder auf und setzte mich damit vor den Plattenspieler. Was sich dann abspielte, war wie ein Stromstoss: Ein ganz kurzes Intro mit der Gitarre und bereits setzt ein elektrisierendes Gitarrenriff ein, ein kurzer Schrei des Sängers - bei dem Nönu sofort meinte, man habe jemandem mit dem Hammer auf die Finger gehauen - und ab die Post. Was für ein Soundgewitter! "Shot Down in Flames" hiess dieses Stück, das erste, das ich je von AC/DC gehört hatte. Irrtümlicherweise hatte ich Seite 2 der Platte aufgelegt und somit die Reihenfolge des Albums, das mit dem Titeltrack "Highway to Hell" begonnen hätte, ein bisschen auf den Kopf gestellt. Aber was spielte das schon für eine Rolle, schliesslich hatte ich eben so richtige, elektrisierende Gitarrenmusik entdeckt! Und die spielte ich jetzt rauf und runter. Beim Titeltrack "Highway to Hell" stellte sich heraus, dass es einige Sprünge in den Anfangssequenzen gab, also ein Fehler im Vinyl selbst, weshalb ich das Stück praktisch nie abspielte. Ausserdem gefiel es mir, im Gegensatz zu den anderen Stücken, nicht besonders.

Wenn ich also bei Nönu und Nonä war, gab es auf dem Plattenteller nur AC/DC. Und obwohl es hin und wieder hiess, ich solle etwas leiser stellen, da sie mit der Musik nicht sonderlich viel anfangen konnten, ertrugen sie meinen neu entdeckten Sound in ausharrender Geduld. Es kam auch vor, dass die im Nachbardorf wohnende Tochter Trudi zwischendurch mit ihrem Sohn zu Besuch kam. Und einmal war ich gerade voll am sounden, als sie mich fragte: "Was hörst du denn da für Musik?" "Eissi-Diissi!" erwiderte ich und streckte ihr voller Freude die Plattenhülle entgegen. Sie begutachtete das Bild, verzog etwas das Gesicht und fragte weiter: "Was heisst das denn auf der Plattenhülle, unten am Rand?" "Highway to Hell" buchstabierte ich und sprach es in einem Pseudoenglisch so nach, wie ich es vom Song her kannte. "Und was heisst das? Weisst du wovon sie singen?" Gute Frage. Hatte ich mich nie gefragt, mir gefiel einfach die Musik. "Weisst du", fuhr sie fort "ich will meinem Bub auch etwas Musik kaufen, möchte aber wissen, wovon die Texte handeln." Vermutlich verstand sie nicht mehr Englisch als ich, musste aber durch das Cover mit dem gehörnten Angus Young ziemlich abgeschreckt worden sein. Das war das erste Mal, dass ich mir Gedanken darüber machte, wovon und worüber überhaupt gesungen wird. Aber irgendwie war mir das auch schnell wieder schnurz. Was für mich hingegen klar war: mit AC/DC hatte ich meine neue Lieblingsmusik. Nicht dass mir die Beatles nicht mehr gefielen, aber bei diesem Stromgeladenen Hard Rock mussten sie bei mir hinten anstehen. Offenbar machten AC/DC den Beatles bereits Konkurrenz bevor mir dies überhaupt bewusst war. Als ich nämlich das John Lennon-Poster abnehmen wollte, entdeckte ich auf der Rückseite Angus Young mit seiner Gitarre. Somit konnte ich das Poster einfach wenden und schon hing mein neuer Held bereits an der Wand. Und sie sollten für ein paar Jahre meine Lieblingsband bleiben.

Inzwischen das meistverkaufte Hardrock Album aller Zeiten
Unterdessen war nämlich gerade "Back in Black", das Nachfolgewerk von "Highway to Hell" erschienen und im Coop blieb die Platte nicht lange im Regal. Einmal mehr war Nönu grosszügig und finanzierte mir das Stück. Die ganze Hintergrundgeschichte um den Tod von Sänger Bon Scott hatte ich dabei nicht mitbekommen, da ich zu der Zeit noch keine Musikzeitschriften wie "Bravo" oder "Pop Rocky" kannte und man auch allgemein nicht mit der heutigen Flut an Informationen zugedeckt wurde. Ich genoss also von Anfang an unvoreingenommen die Musik und die war... noch besser als auf "Highway to Hell"! Wieder hatte ich versehentlich zuerst Seite 2 aufgelegt, weil ich davon ausgegangen war, dass das Titelstück "Back in Black" gleichzeitig auch das erste auf der Platte ist. Aber Detail. Tatsache war, dass ich eine Scheibe in der Hand hielt, die zu einem meiner meistgehörten Tonträger werden sollte.

Zu Hause war vorerst noch nicht viel von dieser elektrisierenden Musik wahrzunehmen, ausser der Tatsache, dass ich ständig irgendwelche Sachen davon sang oder Gitarrenriffs imitierte. Schliesslich hatten wir ja keinen Plattenspieler und Kassette hatte ich davon vorerst auch noch keine. Und es kam einmal mehr das Verlangen auf, Gitarre zu spielen. Am liebsten eine E-Gitarre. Aber man erklärte mir immer wieder, dass ich mit einer normalen, akustischen Gitarre beginnen müsste. Musste das sein? Ich wollte doch einfach diesen stromgeladenen Sound selber spielen können und auf der akustischen Klampfe klang das einfach so brav und langweilig. Zumindest was ich bisher gehört hatte. Schliesslich hatte ich selber noch nie auf irgend einer Gitarre gespielt, hielt höchstens als kleiner Bub ein kleines Modell in den Händen und wurde damit fotografiert. Das war alles. Aber jetzt, nachdem ich das Flötenspielen aufgegeben hatte, schien mir das Gitarrenspielen wie eine hoffnungsvolle Einladung. Und tatsächlich stand ich eines Samstagmorgens im Musikgeschäft Krompholz in Bern, zusammen mit meinem Vater, um mir eines dieser begehrten Saiteninstrumente zu erwerben. Einerseits durch die finanzielle Situation dazu gezwungen und anderseits durch den Verkäufer entsprechend beraten, verliess ich den Laden etwas enttäuscht mit einer akustischen Gitarre. Wenn ich mich nicht täusche, muss es irgend eine Travel Size Gitarre gewesen sein, da sie kleiner war, als es eine herkömmliche Akustikgitarre in der Regel ist. Wie auch immer, mein Traum einer E-Gitarre musste ich wohl oder übel begraben. Und meine Begeisterung für das neue Instrument hielt sich auch zu Hause entsprechend in Grenzen und da in unserer Familie niemand etwas vom Gitarrenspielen verstand, blieb das Teil vorerst in der Tasche oder diente höchstens als Playbackinstrument. Allerdings sah sie zu wenig rockig aus, weshalb ich mir dann aus einem Stück Dachlatte und Hartfaserplatte eine meinem Alter entsprechend eingeschränkte Kopie von Angus Youngs Gitarre bastelte, die ich bei meinen Tageseltern gelagert hielt und zwischendurch hervorkramte, um zur Musik abzurocken.

Anno 1981 - early rockin' days...
Nun hatte ich also eine Gitarre, aber keinen blassen Schimmer davon, wie ich das Teil spielen sollte. Musikschule kam aus unerschwinglichen Gründen schon mal nicht in Frage und einen geeigneten Privatlehrer schien es in unserem Bekanntenkreis auch keinen zu geben. Mir kam es fast so vor als hätte man mir damit gesagt "Hier hast du deine Gitarre. Jetzt schau selbst weiter!" Keine Einstiegshilfe, geschweige denn ein Stimmgerät - nichts. Das war ein zu hoher Berg für mich, definitiv. Irgendwie überkam mich eine grosse Ernüchterung, als würde man mir die Freude an der Rockmusik nehmen wollen. Und es ging noch weiter. Eines Tages nämlich, waren ein paar Saisonarbeiter, die aus demselben Ort Italiens wie wir stammten, wieder mal bei uns zu Besuch. Zwei waren Brüder und einer davon war ziemlich musikalisch, spielte auch Gitarre. Als er nun meine Gitarre sah, fragte er mich natürlich, ob ich auch spielen würde. Etwas resigniert erklärte ich ihm, dass ich nicht wüsste, wie man darauf zu spielen anfängt. Er lachte mich an, packte das Teil und stimmte es vorerst einmal. Und dann legte er los. Voller Freude sang er irgendwelche Volkslieder aus Italien, insbesondere aus unserer Region Kalabrien, und schrummte dazu völlig locker auf der Gitarre. So sehr er und meine Landsleute diese Musik liebten und in diesem Moment mitsangen, so wenig konnte ich damals mit dem Gejohle anfangen. Da sträubte sich alles in mir. Als er nun fertig war, wandte er sich zu mir und sagte mir: "Komm, ich bringe dir ein paar Akkorde bei!" Pah, als wäre dies einfach! Ohne Plektrum, zupfen und damit irgendwelche Volkslieder spielen. Erklärte ihm dann, dass ich gerne Rockmusik auf der Gitarre spielen würde. Was mir dabei entgegenkam, war nur Gelächter. Offenbar nahm man mich nicht ernst. Rockmusik und vor allem härtere Formen davon waren in unseren süditalienischen Breitengraden etwas, das man automatisch mit Drogen, Gewalt und sonstigen unrühmlichen Sachen in Verbindung brachte. Und wer wollte schon einen solchen Ruf haben? Nur so kann ich mir die Reaktionen meiner Landsleute rückblickend erklären. War also das Angebot zum Einstieg ins Gitarrenspielen durch italienische Volkslieder eine durchaus nett gemeinte und herzvolle Einladung, so war es für mich das Todesurteil über der akustischen Gitarre.

Teil 3  hier abrufbar

Samstag, 13. September 2014

Meine Geschichte mit der Rockmusik - Teil 1

Einleitung

Wenn man mich heute fragen würde, wann ich angefangen habe Rockmusik zu hören, könnte ich die Frage nicht mit Genauigkeit beantworten. Aber es muss irgendwie an einem Sonntagnachmittag gewesen sein, als man als Familie schon fast obligaterweise vor dem TV sass. Ja, es war in der Zeit, als die Dinger noch schwarz-weiss waren, man keine Fernbedienung und gerade nur drei Sender zur Auswahl hatte und diese zudem noch während bestimmten Zeiten Sendepause hatten. Somit war Fernsehen ein echtes Highlight, ein Erlebnis und keine unkontrollierte Berieslung wie man es heute kennt. Und in der laufenden Sendung lief gerade eine komödiantische Darbietung: Die eine Person wollte etwas auf gemächliche Weise musikalisch vortragen, während ihm die andere mit E-Gitarre dazwischenfunkte. Dieser langhaarige Typ und der elektrisierende Sound seiner Gitarre waren die Geburtsstunde meiner Liebe zur Rockmusik. Es sollte zwar noch etwas dauern, bis ich diese Musik durch Kassetten und Vinylplatten entdecken würde, aber der Grundstein war gelegt, die Weichen gestellt.

Meine Herkunft

Nicastro, ein Stadtteil von Lamezia Terme (Kalabrien)
Um meine Geschichte etwas besser zu verstehen, ist es unabdingbar, mein Umfeld und meine kulturellen Hintergründe etwas zu erläutern, damit allfällige Missverständnisse oder Unklarheiten eingegrenzt werden können.

Geboren wurde ich 1972 in einem kleinen Dorf im süditalienischen Kalabrien. Meine Mutter und meine Verwandten erzählen mir immer wieder Geschichten aus den ersten Monaten und Jahren, an die ich mich natürlich nicht erinnern kann. Aber ich entnehme daraus, dass ich pflegeleicht gewesen sein soll. Die ersten Lebensjahre verbrachte ich zwar in ärmlichen Verhältnissen, aber gut umsorgt von meiner Mutter und meinen Verwandten, während mein Vater als Migrant in der Schweiz arbeitete. Als gut Zweijähriger wurde ich dann zusammen mit meiner Mutter ebenfalls in der Schweiz, genauer gesagt in Riggisberg, einem schönen Dorf im Berner Mittelland, beheimatet. Und so wurde die Schweiz zu dem Land, an welches ich mich von Grund auf erinnere. Während meine Eltern beide arbeiteten, verbrachte ich diese Zeit von Kindheitstagen an bei Tageseltern, die sozusagen zu meinen dritten Grosseltern wurden. Dies war dann auch der Grund, weshalb man mir - im Gegensatz zu den meisten meiner Landsleute, die sich vor allem in der Stadt niedergelassen hatten - keinen italienischen Akzent anhörte. Ich wuchs also Zweisprachig auf.

Riggisberg, mein eigentlicher Heimatort
In den 70er und 80er Jahren hatten es die Gastarbeiter nicht einfach. Sie erledigten nicht nur schwere und dreckige Arbeit, sondern wurden streckenweise schikaniert oder gar ausgegrenzt. Eine kulturelle Haltung, die auch deren Kinder zu spüren bekamen. Als sogenannter Secondo habe ich folglich nicht nur schöne Erinnerungen an meine Kindheit oder Schulzeit; in allem musste ich mich beweisen, bewähren oder behaupten. So war ich während der gesamten Schulzeit der einzige Ausländer in der Klasse, während sich die meisten meiner Landsleute in städtischen Gebieten niedergelassen hatten und so wenigstens jeweils als kleine Gruppe zusammenhalten konnten.


Eine wunderbare Entdeckung

Ich erinnere mich noch gut daran, dass mein Vater oft für sich sang oder vor sich her summte. In der Regel wenn er irgendetwas reparierte, meistens mit einer Zigarette im Mundwinkel, oder im Auto, als ein Radio absoluter Luxus war und folglich die Musik entweder jene des Motors oder diejenige, die man selbst von sich gab, war. In Italien hatte er einen Plattenspieler und eine Sammlung von sogenannten 45er Single Vinylplatten. Natürlich praktisch ausnahmslos Canzoni aus Italien. Mein Vater war ein Verehrer von Chansoniers wie Claudio Villa, Paolo Conte, Julio Iglesias, Toto Cutugno oder Adriano Celentano. Ich war zu klein, um mich an irgendwelche davon prägende Melodien zu erinnern. Erst Jahre später entdeckte ich jeweils in den Ferien den Plattenspieler und die Vinylsammlung und hörte mir dann immer wieder die gleichen Sachen an, die mich von der Zeichnung oder vom Bild auf der Hülle her ansprachen. Meistens ein kurzes, lustiges Hörspiel, gefolgt von einem Lied.

Interessant wurde es aber zu Hause, als ich den Kassettenrecorder zu bedienen entdeckte. So war es eine Kassette von Gianni Morandi, die praktisch in der Endlosschlaufe lief und besonders das Stück "Bella Belinda", welches ich immer wieder zurückspulte. Vermutlich das erste Musikstück, welches ich liebte. Und wenn ich es heute höre, zaubert es mir immer noch ein herzhaftes Lachen aufs Gesicht. Ja, das ist italienischer Schlager, sozusagen mein musikalisches Umfeld, in dem ich meine frühe Kindheit verbrachte. Aber nicht weit von zu Hause entfernt wartete ein grosses musikalisches Abenteuer auf mich, welches ich nach und nach entdecken sollte. Eine Reise in eine Musikwelt, wie ich sie mir ansatzweise gewünscht hätte, als ich zum ersten Mal diesen Typen mit langen Haaren und elektrischer Gitarre im TV gesehen habe. Musik, die sich tief in mein Herz verankern und mich nicht mehr loslassen sollte. Und ich konnte in meiner kindlichen Naivität noch nicht ahnen, welche Schwierigkeiten dies mit sich ziehen würde...

Musikalische Offenbarung auf Vinyl
Bei meinen Tageseltern verbrachte ich nicht nur die Zeit, während meine Eltern beide arbeiteten. Auch sonst war ich gerne dort, es war mein zweites Zuhause. Ihre eigenen Kinder waren alle bereits ausgezogen und hatten selbst bereits Kinder. Nönu, wie ich meinen dritten Grossvater zu nennen pflegte (meine Tagesmutter nannte ich Nonä), wurde wegen seinem Asthma frühpensioniert. Deshalb konnte ich sehr viel mit ihm unternehmen. Er war ein total liebenswerter Mensch, der mir in aller Geduld alles Mögliche zeigte, was die Welt so zu bieten hat. So wuchs ich in einem Umfeld von Hühnern, Fasanen, Kanarienvögel und Katzen auf, lernte zu hämmern, sägen, schrauben, schneiden und sonst allerlei Handwerk. Und wenn das Wetter es zuliess, nahm er mich mit auf seine Vespa und wir fuhren irgendwo hin; entweder in die Berge, an einen Bach oder in den Wald. Wandern, klettern, baden, bräteln, Pilze sammeln... kurz: es fehlte mir an nichts. Und dennoch entdeckte ich ein unscheinbares Juwel nicht draussen, sondern im Wohnzimmer: einen Plattenspieler.

Es war eine Musikanlage, Radio und Plattenspieler kombiniert. Eine 45er Single Sammlung war auch dabei. In meinem jungen Alter hatte ich natürlich keinen Schimmer davon, was da alles für Musik vorhanden war. Aber das meiste waren deutsche Schlagerhits oder irgendwelche Volkstümliche Musik. Doch darunter war auch eine schwarze Scheibe mit einem gelben Etikett, die ich mal, wie alle anderen auch, einfach anhören wollte. Und dann traf es mich wie aus heiterem Himmel: Da war sie wieder, diese E-Gitarre! Ein mitreissender Rhythmus, ein Sänger, der sich so richtig austobte, ein Gitarrensolo, welches mich komplett elektrisierte und von Anfang an eine Nummer zum mitsingen - das war "I'm Down" von den Beatles. Ich konnte mich kaum noch davon trennen, wollte es immer und immer wieder abspielen. Dabei hatte es ja noch eine Rückseite: "Help" war dort drauf. Auch davon war ich natürlich hell begeistert, obwohl ich dann immer wieder zu meiner ersten Entdeckung zurückkehrte. Ich konnte mich nicht mehr still halten, musste mich dazu bewegen, den Gitarristen mimen, mitsingen - hach, ich hatte einfach eine unbeschreibliche Freude!

Es muss in der ersten Klasse gewesen sein, als ich zu lesen und schreiben angefangen hatte, wo ich mir die erste Musikkassette wünschte, eine von den Beatles. Schliesslich wollte ich diese Musik auch zu Hause hören können. Und so war es an einem Samstagmorgen, als wir als Familie nach Bern einkaufen gingen, dass wir noch im "Musik Bestgen" einkehrten. Mein Vater hatte dort auch schon Kassetten gekauft und an dem Tag durfte ich mir eine aussuchen. Meine Augen fielen auf eine besondere: "Rock'n'Roll Music". Es war eine Kompilation der rockigen Stücke der Beatles wo auch "I'm Down" darauf zu finden war. Durfte sie noch anhören und wusste natürlich augenblicklich, dass ich dieses Teil haben musste.
Voller Freude und gespannt wie ein Pfeilbogen konnte ich es kaum erwarten, die Kassette zu Hause in den Rekorder zu stecken. Und zack, drin war sie. Mein Gesicht muss gestrahlt haben wie die Sonne, denn... Moment mal, was soll denn das? Irgendwie klang es plötzlich total komisch, als würde die Kassette nicht mehr in der richtigen Geschwindigkeit laufen. Oh, nein, ist etwa die Kassette kaputt? Das Band hatte es jedenfalls nicht eingeleiert und andere Kassetten funktionierten einwandfrei. Es gab nur eine Möglichkeit: austauschen. Und das taten wir dann auch. Ironischerweise funktionierte mein Patient im Musikladen einwandfrei, dennoch erhielt ich eine neue Kassette. Doch zu Hause funktionierte diese ebenfalls nicht. Als wir auch diese Kassette zurückbrachten und diese in der Anlage im Geschäft erneut einwandfrei abgespielt werden konnte, mussten wir uns damit abfinden, dass es an unserem Gerät lag, welches zu wenig Kraft besass, das Band der Kassette angemessen zu drehen. Es handelte sich nämlich um eine 120Min Kassette, also doppelt so viel Band wie auf einer herkömmlichen Kassette.
Das war ein derber Hammer, eine Riesenenttäuschung. Es wäre DIE Kassette gewesen, aber sie blieb mir einfach verwehrt. So las ich halt eine andere der Beatles aus. Die Lieder "Rock'n'Roll Music" und "Twist and Shout" waren darauf, jeweils am Anfang von jeder Seite. So hörte ich mir meistens nur das erste Stück an, spulte dann bis ans Ende der Seite, kehrte die Kassette und hörte mir das erste Stück der anderen Seite an. Und dies immer und immer wieder. Bis mich dann jeweils Mutter daran erinnerte, dass es auch noch andere Stücke auf der Kassette hat und ich mit meinem System sowohl Kassette als auch den Rekorder demolieren würde.

Als Ausländerfamilie waren wir natürlich alles andere als reich und mein Vater schaufelte so viel Geld wie nur möglich auf die Seite, um in Italien ein Haus zu bauen. Deshalb hatten wir oftmals nur das Nötigste und waren als Kinder alles andere als verwöhnt. Jedes einzelne Spielzeug stand somit wie als ein Juwel für sich. So war der Kassettenrekorder ein sehr kleiner, mit Monolautsprecher, der einfach allen gehörte. Auf der anderen Seite waren da meine Tageseltern und besonders Nönu, der mir immer wieder Geld in die Finger drückte, das ich liebend gern für Schleckereien ausgab. Spielzeuge gab es nicht nur zu Weihnachten, sondern waren vor allem auch beim zweimal im Jahr stattfindenden Dorfmarkt eine nicht wegzudenkende Angelegenheit. Diese zwei verschiedenen Welten sollten dann auch irgendwann mal zu einem inneren Konflikt führen, doch das kümmerte mich zu diesem Zeitpunkt natürlich überhaupt nicht. So wurde meine allererste Vinylplatte ein Geschenk von meinen Tageseltern, die es offenbar toll fanden, wie mich die Musik der Beatles begeisterte. Es war das rote Kompilation-Doppelalbum 1962-1966. Und sobald Nönu vom Mittagsschlaf, den er täglich auf dem Sofa im Wohnzimmer hielt, aufwachte, drehten sich die beiden Scheiben natürlich im Dauerlauf.

Meine allererste Vinylscheibe
Ich war einfach hingerissen von dieser Musik. Oft packte ich mir einen Federballschlegel, einen Farbstift oder sonst irgend einen geeigneten Gegenstand und spielte als Luftgitarrist oder Playbacksänger zur Musik mit. Am liebsten wäre ich einer der Beatles gewesen. Und ich erinnere mich noch sehr gut daran, als ich meinem Pultnachbar von den Beatles vorschwärmte und meine Begeisterung für die Rockmusik offenbarte. Ich erklärte ihm, dass ich eine Band gründen wollte und fragte ihn, ob er denn mitmachen würde. Und obwohl wir viel in unserer Freizeit zusammen unternahmen, war er nicht sonderlich begeistert von meiner Idee. Er machte mir klar, dass er einmal den Hof seines Vaters weiterführen würde und keine Zeit für sowas habe. Verstand ich irgendwie nicht so ganz, aber ich musste es akzeptieren.
Auch meine Eltern waren alles andere als begeistert von meinem Wunschtraum. Mir war natürlich nicht bewusst, wie steil der Weg eines Musikers ist und wie hoch das Risiko, dass man es zu etwas bringt, beziehungsweise davon leben kann. Irgendwie wurde ich jäh aus einer Traumwelt gerissen und spürte die ersten eisigen Winde der Realität. Konnte zu dieser Zeit noch nicht ahnen, welche Opfer meine Eltern bereits gebracht hatten, um mir das damalige Leben und eine hoffnungsvolle Zukunft zu ermöglichen. Folglich war da ein Junge mit utopischen Vorstellungen schlicht zur falschen Zeit am falschen Ort. Trotzdem blieb ich ein Musikfan. Und irgendwie bin ich zunehmend davon überzeugt, dass meine Mutter alles nur mögliche daran gesetzt hätte, um meinem Wunschtraum zu folgen und ihn verwirklichen zu können.
Aber mein Vater trug eine schwere Bürde und viel Verantwortung und hätte am liebsten einen Doktor aus mir gemacht, damit ich mir um meinen Lebensunterhalt keine Sorgen machen müsste. Und dennoch schlummerte auch in ihm ein riskanter Wunsch für meine Zukunft: Profifussballer. Er bemühte sich schon früh damit, in mir die Leidenschaft des Fussballs zu wecken. Aber bis zu meinem zehnten Lebensjahr interessierten mich Fussbälle überhaupt nicht. Da spielte ich lieber im Sandkasten, mit Modell-Baumaschinen oder hörte einfach Musik und sang leidenschaftlich mit. Auch meine Tageseltern holten mich auf den Boden der Realität und erklärten mir, dass ich zum Musiker werden ins Konservatorium (Musikhochschule) müsste, auch wenn ich nur Sänger werden wollte. Immerhin aber spornten sie mich an, ein Instrument zu lernen. Am liebsten hätte ich natürlich Gitarre gelernt, doch die Option Musikschule war für unsere finanziellen Verhältnisse schlichtweg nicht realisierbar. So entschied ich mich, den Blockflötenunterricht in der Schule ab der 2. Klasse zu besuchen, da man damit in mir die Hoffnung erweckte, dass dies ein idealer Einstieg in die Musikwelt sein könnte.


Teil 2  hier abrufbar

Mittwoch, 10. September 2014

Mehr als nur re-loaded

IRON MAIDEN

Dance Of Death

(Metal, Heavy Metal, NWOBHM)


Eines zu Beginn: Ich habe Iron Maiden in den 80ern kennengelernt und "The Number of the Beast" war meine erste Heavy Metal Scheibe überhaupt. Die ersten sieben Studioalben sind für mich unantastbare Klassiker, von denen ich ehrlich gesagt bis heute nicht sagen kann, welches Album ich nun als das Beste küren würde. Aber Detail.

Fakt ist, dass viele Maiden vorwerfen, sie erreichen nach "Seventh Son of a Seventh Son" das Niveau ihrer Klassiker nicht mehr - und zwar Kritiker und Fans gleichermassen. Ach, ist das so? Ich lasse diese These mal so im Raum stehen.

Tatsächlich haben sich Maiden stilistisch weiterentwickelt. Ein Hauch progressiver, ausgewogener und ausgefeilter, aber dennoch mit dem unverkennbaren Klang, den nur die Herren aus England hinkriegen. Zugegeben, die Scheiben der neuen Bruce-Ära brauchen allgemein ein paar Durchläufe, bis sich einem die Perlen offenbaren, die zweifelsohne vorhanden sind. Wem die Zeit zu schade ist, tja, der verpasst es halt - selber schuld.


"Dance of Death" ist nicht die Fortsetzung von "Brave New World", wie sich vielleicht einige erhofft hatten, und es knüpft auch nicht an die ersten Alben an. Nein, "Dance of Death" ist streckenweise düsterer, vor allem aber verspielter und etwas poetischer - wenn man das so ausdrücken will. Musikalisch weiss man von den ersten Klängen hinweg, dass hier eine Band am Werk ist, die perfekt eingespielt ist. Kein Wunder, dass die Stücke live dann mindestens so gut, wenn nicht sogar noch besser klingen!

Heute, im Jahre 2014 - also gut 10 Jahre nach Veröffentlichung von "Dance of Death" - wage ich zu behaupten, dass sich das Album keineswegs hinter den legendären Vorgängeralben zu verstecken braucht. Denn seien wir mal ehrlich: Wer will schon eine Kopie von "Killers", "Powerslave" oder "Seventh Son of a Seventh Son"? Es sind Unikate, genauso wie "Dance of Death" eines ist.

Anspieltipps: Die ganze Scheibe. Am besten sich bewusst die Zeit nehmen und ganz abspielen. Und vorzugsweise wiederholen...

Punkte: 10 / 10

Credits: Iron Maiden Holdings Ltd. - 2003

Montag, 8. September 2014

Metalcore - Metal vs. Core - Metal und Core

Oder:

Über den Kern des Heavy Metal


Metalheads don't dance, they headbang
Praktisch kein Metalforum und keine Metalplattform ist davon gefeit: der Krieg zwischen Metal und Core. Und obwohl das Thema meistens in gegenseitigen verbalen Attacken ausartet und kaum konstruktiv behandelt werden kann, versuche ich mich zum schätzungsweise 153sten Mal dem ganzen Dilemma zu nähern. Aus persönlicher Erfahrung hat sich zwar ergeben, dass es keine Lösung gibt, wohl aber ein paar Klarstellungen, welche für mehr Verständnis sorgen können.
Ehrlich gesagt habe ich es nämlich satt, mich inzwischen sogar als Elitist beschimpfen lassen zu müssen, nur weil mein Verständnis von Heavy Metal sich nicht mit demjenigen des Core deckt. Ein Konflikt zwischen Alt und Jung also? Scheint so. Vielmehr aber ein Phänomen, welches man erst seit der zweiten Metalwelle (ab ca. 1997 und folglich mit der Vermischung von unzählig anderen Musikrichtungen wie u.a. Rap, Punk, New Wave, Gothic, Grunge, Hardcore oder Industrial) zunehmend beobachtet.

Früher war alles besser...

Jede Generation kennt sie und die Jungen können sie nicht ausstehen, die "Früher-war-alles-besser"-Aussage. Ob es nun früher in der Metalszene tatsächlich besser zu- und herging, ist natürlich Ansichtssache. Tatsache ist aber, dass es bezeichnend anders war und vielem, was hohen Stellenwert hatte, heute kaum noch Beachtung geschenkt wird. Hier ein paar Punkte, welche die Metalszene prägten und ausmachten:
Ja, das kann durchaus vorkommen...
- Musik von Aussenseitern für Aussenseiter
- Von Gitarrenriffs getragene Musik
- Eine grosse Familie, wo Jung und Alt gleichermassen respektiert werden und man praktisch dieselbe Musik hört, da sie trotz verschiedenen Stilrichtungen einheitlich ist
- Respekt, Treue und Unterstützung der jeweiligen Bands und Künstler; praktisch alles entstand aus dem Underground
- Treue zum eigenen Herzen und somit auch zur eigenen Musik, egal was die grosse Masse denkt und sagt
- (Stereo-)Typische Äusserlichkeiten: Lange Haare, schwarzes Bandshirt, Nieten, Ketten und Leder, Jeanskutte mit Bandpatches


Auch wenn dies heute im einen oder anderen Punkt immer noch zutrifft, haben sich einige Dinge markant verändert. Mit der Weiterentwicklung der Musik, welche durch die Vermischung bereits erwähnter Stile sehr viele Schnittstellen bzw. Crossover bietet, haben sich auch die Anhänger evolutioniert. Vor allem durch die Beimischung von Rap / Hip Hop und dem daraus entstandenen Nu Metal, und dem Einfluss des Hardcore Punk und dem daraus entwickelten, heute bekannten und total angesagten Core, wurde die Metalszene zwar um einiges erweitert, gleichzeitig aber um elementare Dinge beschnitten: Statt Gitarrenriffs, hymnenhaft und episch aufgebauten Songstrukturen und eingängigen Melodien, werden Groove, Breakdowns und möglichst viel brutalem Gegrunze und Geschrei Platz gemacht. Lange Haare und das typische Metaller-Outfit wird durch Trends, hauptsächlich aus der Hip Hop- und Hardcoreszene, erweitert oder sogar ersetzt. Man ist brutal, brutal anders, man ist eben Metal. Aber Moment mal, was ist mit dem, was Metal gross machte? Interessiert scheinbar niemand wirklich, schliesslich hat es ausgedient, ist lediglich noch was für die Älteren - Oparock sozusagen.

Subkultur und Trendkultur

...oder so ähnlich
Nein, so einfach geht das nicht. Was mit viel Schweiss, Herzblut und Leidenschaft - und zwar unter viel Kritik und Verachtung - sich zu einer Subkultur entwickelt hat, lässt sich nicht einfach aufs Abstellgleis stellen. Metal hat sich über all die Jahre und Jahrzehnte seit ihren Anfängen immer weiterentwickelt. Und auch wenn mit anderen Stilrichtungen variiert und experimentiert wurde, so blieb ein gemeinsamer Nenner, den man musikalisch zwar nicht klar definieren kann, aber irgendwo spürt - selbst wenn einem der Stil nicht zusagt: Der unverkennbare Klang des Metal. So wie es z.B. den unverkennbaren Klang von Rockabilly, Reggae oder Punk gibt.

Und Metal hat diverse Trends überlebt. Selbst als sich die Geldmaschinerie einmischte, als man den grossen Boom und die grosse Nachfrage Mitte 80er sah und das grosse Geschäft witterte, und Metalbands zu Hairspray- und Glambands ummodelte, blieb der Sound - trotz den obligaten Powerballaden, um die Chartplätze ganz oben zu belegen - erhalten. Doch durch Bands wie Nirvana und der aufkeimenden Grunge-Welle Anfang 90er wurde dann der angebliche Tod des Metal deklariert. Plattenlabels lösten Verträge mit Metalbands auf oder verknurrten sie zu einem Stilwechsel. Und auch wenn es, wie im übrigen überall, vereinzelt Verräter gab, die des Geldes wegen ihren Stil verleugneten und mit dem nächsten Trend mitliefen, lebte der Metal wieder im Underground weiter.

Hier zeigte sich deutlich, dass Metal keine Trendkultur ist, also etwas, das einfach mal von der grossen Masse angesagt ist und man wie eine Kuh ausmelken kann. Nein, Metal ist Musik und Kultur, etwas, das man im Herzen fühlt - man ist Teil davon oder eben nicht.

Alles Metal oder was?

Headbangen ist langweilig, hier wird gemosht!
Metalcore oder Core per se hat sich nicht organisch aus dem Metal heraus entwickelt, wie zum Beispiel der New Wave of Britisch Heavy Metal (NWOBHM), aus denen Bands wie Iron Maiden oder Saxon hervorgingen, Thrash Metal mit den bekannten Big 4 Metallica, Megadeth, Slayer und Anthrax, oder Melodic Death Metal (oft auch Göteborger Metal genannt) mit heutigen Grössen wie Dark Tranquillity, In Flames, Arch Enemy oder Amon Amarth. Vielmehr ist Core ein Abkömmling des Hardcore Punk, der mit den extremen Stilen des Metal wie z.B. Thrash oder Death Metal kokettiert. Ideologisch und von der Kultur her eindeutig dem Hardcore und dem Punk zugehörig, lässt sich dies vor allem an der äusseren Erscheinung und dem Verhalten an Konzerten erkennen.

Und wie bereits zu Anfangszeiten Heavy Metal und Punk getrennte Wege gingen - und zwar musikalisch und ideologisch - so lassen sich auch im neuen Jahrhundert diese beiden Kulturen nicht wirklich vereinen. Eindeutig dem Punk bzw. Hardcore Punk in praktisch jeder Hinsicht näher als dem Metal, entwickelt sich Core zunehmend zu einer eigenständigen Subkultur ...innerhalb der Metalszene. Dass sich der Metaller der alten Schule bzw. einer, welcher die Szene bereits mit all den oben (zwar nur angestreiften) erwähnten Dekaden miterlebt hat, dabei verraten fühlt, kann der Core-Anhänger nur schwer oder überhaupt nicht nachvollziehen; für ihn hat die Entstehung und der Kern der metallischen Subkultur herzlich wenig Bedeutung. Und wenn man sich ein wenig in der Szene bewegt, hat man bald einmal mit lästigen, oftmals abschätzig genannten Elitisten zu schaffen, welche scheinbar am Gold und am Feuer der Vergangenheit festhalten. Doch diese Kultur hat bereits respektable 40 Jahre auf dem Buckel...

Metal und Core - nun also kompatibel oder nicht? Jein. Eine Szene innerhalb einer anderen Szene ist uneins. Metal ist nunmal exklusiv, hat aber wie keine andere Musikrichtung inzwischen eine schier endlose Liste von Subgenres. Durch den vielen Crossover ist es mittlerweile unmöglich zu klassifizieren, was Metal ist und was nicht. Ein Oberbegriff wie "Extreme Music", der Metal und Core miteinschliesst, würde nicht nur den verschiedenen Stilen gerecht, sondern würde meiner Meinung nach sehr viele Missverständnisse, Ärger, endlose Debatten und schliesslich einen Blogpost wie diesen ersparen.

Keep rockin' _\,,/

Donnerstag, 4. September 2014

Prince of Egypt metalized

SIGNUM REGIS

Exodus

(Metal, Power Metal, Melodic Metal)


Mit "Exodus" präsentieren die Slowaken Signum Regis bereits ihr drittes Album. Waren die beiden Vorgängeralben fast ausschliesslich nur dem Insider der Metalszene ein Begriff, könnte sich dies mit ihrem neuesten Werk ändern. Nicht dass die ersten beiden Alben keine Erwähnung verdient hätten - im Gegenteil! Bereits dort wurde melodischer Stahl mit unverkennbaren klassischen Einflüssen geboten und mit Göran Edman hatte man einen Mann am Mikro, der Ende 80er bzw. Anfang 90er mit Leuten wie John Norum (Europe) oder Yngwie Malmsteen zusammenarbeitete. Wer die Scheiben noch nicht kennt, sollte ruhig mal ein Ohr riskieren. Dass die Alben nämlich nicht bekannter sind, lässt sich meines Erachtens nur durch die mangelnde Promotion erklären, welche in der heutigen Zeit schwierig wird, wenn man nicht unter einem grossen Label unter Vertrag steht. Aber genug der Hintergrundinfos.

"Exodus" knüpft genau dort an, wo man zuletzt aufgehört hatte: eingängiger, melodischer und neoklassischer Metal, vereinzelt mit progressiven Ansätzen. Und wie der Titel es bereits verrät, handelt es sich um ein Konzeptalbum: Der Auszug von Israel aus Ägypten. So quasi ein "Prince of Egypt" in metallischer Form? Könnte man durchaus so umschreiben, ja. Denn die Songs sind nicht nur thematsich, sondern auch musikalisch optimal auf die jeweilige Episode abgestimmt und geben die Stimmungen eindrücklich wieder.

Bereits beim akustischen Intro wird man in die Geschichte entführt. Wenn man sich darauf einlässt, wird man mit einem musikalischen Feuerwerk bedient, welchem man die kompositorische Vielfalt unverkennbar anmerkt. Wie bereits auf den Vorgängern wurde Göran Edman verpflichtet, allerdings neben einer Reihe von anderen hochkarätigen Sängern wie Mike Vescera (u.a. Obsession, Loudness), Thomas L. Winkler (Emerald, Gloryhammer) oder Matt Smith (Theocracy). Es wurde dabei darauf geachtet, dass jeder Sänger und die Sängerin Daisa Munhoz (Vandroya) bei den jeweiligen Stücken ihren stimmlichen Charakteristiken entsprechend eingesetzt werden.


Einzelne Stücke hervor zu heben hiesse, sie aus dem Konzept zu reissen. Ein Album, welches eine Geschichte erzählt, ist wie ein Musical - man sollte es als Ganzes anhören. Signum Regis haben sich damit zwar einiges vorgenommen, es aber gekonnt und technisch einwandfrei umgesetzt: da sind nicht nur Musiker am Werk, welche ihre Instrumente beherrschen, sondern es auch mit sehr viel Spielfreude und Leidenschaft tun. Wer sich als Kostproben "The Promised Land", "Wrath of Pharaoh" oder "The Ten Plagues" anhört, der braucht keine weiteren Überzeugungskünste.

Alles in allem ein wirklich gelungenes Werk, welches sich vom üblichen 08/15 Euro Power Metal abhebt und bedenkelos zu den erfreulichen und überdurchschnittlichen Veröffentlichungen - zumindest was melodischen Metal betrifft - gehört.

Fazit: Geheimtipp!

Punkte: 9 / 10

 Credits: Ulterium Records 2013

Montag, 1. September 2014

Heavy Metal? Ja, aber...

...nur christlich!?

Dieses Thema beschäftigt mich seit Jahren und immer wieder kann es in gewissen Foren und Plattformen zu heissen und schier endlosen Diskussionen ausarten. Nachdem ich schon so einiges gelesen und miterlebt habe, möchte ich diesbezüglich mal auch meine Meinung darüber kundtun.

Ja, ich bin Christ. Ich erwähne dies deshalb, weil ich ohne Gottes Gnade nicht das wäre, was ich heute bin. Und ich liebe Rock und Heavy Metal, bereits seit über 30 Jahren. Aber genau diese Vorliebe und die Abneigung von Seiten vieler Christen haben mir schon früh das Interesse am christlichen Glauben verdorben. Nicht dass die härtere Form der Rockmusik in der Gesellschaft eh schon in Verruf steht und mit Vorurteilen zu kämpfen hat, ist es im christlichen Milieu noch um einiges massiver.

Mittlerweile hat sich Rock und Metal auch unter Christen etabliert und es wird endlos darüber debattiert, ob man als Christ nur christlichen Metal oder auch sogenannt säkularen Metal hören kann. Schon allein diese Frage muss bei einem Nichtchristen ein herzhaftes Kopfschütteln auslösen. Interessant wird's dann, wenn man fragt, wie sich denn eine christliche Band definiert: Ist man eine christliche Band, weil Christen darin spielen? Weil alle Christen sind? Weil die Texte christlich sind? Oder weil alle Christen sind und die Texte christlich sind? Oder was weiss ich welche Vorgaben und Vorstellungen.

Ungleiche Massstäbe

Das Massgebende dabei ist nicht, ob man nun christlichen oder säkularen Metal hört, vielmehr wie die beiden Lager behandelt werden: Alles was christlich ist, ist von Grund auf sauber und grossartig, während über allem anderen meistens der Mantel des Schweigens gelegt wird. Interessant ist dabei, dass viele die einfache Frage "Ist Band XY christlich?" stellen und wenn sie mit "Ja" beantwortet wird, kann man sich bedenkenlos ins Hörvergnügen stürzen. Das Gewissen ist beruhigt, alles im grünen Bereich. Schliesslich will man sich ja nicht auf dubiose, wenn gar satanische Sachen einlassen. Auch ich wurde davon nicht verschont und da ich ein Mensch bin, der den Dingen gerne auf den Grund geht, habe ich bald einmal entschlossen, selber zu recherchieren. Und ich kam auf erstaunliche Ergebnisse.

Die Realität sieht oftmals ähnlich aus
Während Metal, der ansatzweise christlich ist, wie die grösste musikalische Offenbarung behandelt wird, schenkt man dem nichtchristlichen Original kaum Beachtung. Ist es Desinteresse oder Ignoranz, Kompromisslosigkeit oder Angst? Schwer zu sagen. Aber bei Aussagen des Kalibers "only christian is clean" kann ich einfach nur noch die Arme verwerfen. Kein Wunder, dass die christliche Metalszene oft belächelt oder gar gemieden wird. Immerhin ist eine solche Einstellung sehr kurzsichtig und zeugt nicht gerade von Fachkompetenz. Gott sei Dank denken und handeln nicht alle so!

Wer zum Beispiel meint, er müsse Iron Maiden meiden, weil einer ihrer Songs "The Number of the Beast" heisst und in einer Textzeile sogar die Zahl 666 besungen wird, der hat sich definitiv nicht mit dem Song und dessen Hintergrund befasst. Oder diejenigen, die zu wissen scheinen, dass James Hetfield von Metallica nix mehr mit dem christlichen Glauben zu tun haben will, nur weil ein Song "The God that failed" heisst. Dass James darin seinen Schmerz über den Tod seiner Mutter, die sich nicht medizinisch helfen lassen wollte, da sie auf ein Wunder Gottes wartete, verarbeitet, scheint niemand wirklich zu interessieren. Um nur zwei sehr bekannte unter unzählig anderen Beispielen zu erwähnen.

Was Metal ist

Metal mag die lauteste und härteste Musik sein, aber herz- oder seelenlos ist sie deswegen bei weitem nicht - im Gegenteil. Wie in keiner anderen Musikrichtung bringt Metal das zum Ausdruck, was andere vielleicht nur denken. Metal ist direkt, ehrlich und macht niemandem etwas vor - manchmal halt auch etwas unverschämt. Musik ist zuallererst Musik. Und Musik ist - wenn man schon das biblische Weltbild als solches anwendet - ein Geschenk, eine Gabe Gottes. Es ist schlicht anmassend, wenn man meint, christlicher Metal sei sauber, der Rest nicht. Das ist eine Beleidigung für alle nichtchristlichen Musiker, welche sich auf ihre Weise ausdrücken.

Mehr als nur Lärm...
Ein Grund, warum christlicher Metal oftmals nicht funktioniert, ist weil es immer wieder Bands gibt, die unverhohlen versuchen, mit dem Vorwand harte Musik zu machen, den Zuhörer mit plakativen Aussagen und biblischer Zeigefingerpropaganda zu torpedieren. Oftmals ist die Musik nur ein Vorwand - es könnte genauso gut Rap, Jazz oder Techno sein - Hauptsache, die Message kommt an. Aber der Metaller ist da nicht wirklich an der Nase herumzuführen, da die fehlende Authentizität schnell entlarvt ist. Metal ist eben gnadenlos echt, kratzt unter der oftmals scheinheiligen Oberfläche und greift manchmal bis in die tiefsten Abgründe - wie die Psalmen in der Bibel.

Die Psalmen sind ja eine Sammlung von Liedern. In der Bibel wurden 150 davon niedergeschrieben, ohne Noten. Somit wäre schon mal das ungeschriebene Gesetz in Frage gestellt, wie Kirchenmusik - (bekannterweise mit Orgel oder acapella, heute mit akustischer Gitarre und Klavier, aber ja nicht zu laut!) - zu klingen hat. Wer sich mal durch diese biblische Liedersammlung liest, der wird nicht nur Lobeshymnen entdecken, sondern auch Ausdrücke von Ärger, Enttäuschung, Zweifel, Wut oder Angst - also Echtheit pur! Na, wenn dies nicht Metal ist?

Persönliche Präferenzen

Christsein ist eine Lebenseinstellung, die Welt mit Gottes Augen zu sehen. Wer jetzt meint, man müsse sich folglich ausschliesslich auf christliche Dinge fixieren, dem rate ich nur noch christliche Filme zu schauen, christliche Zeitungen zu lesen, christliche Möbel zu kaufen, christliche Kleider zu tragen, christlichen Salat zu essen... und am besten keinen Metal mehr zu hören. Warum? Metal und Scheinheiligkeit vertragen sich nicht.

Nein, die Welt mit Gottes Augen zu sehen heisst, meine eingeschränkte Sicht zu erweitern. Musik per se kann nicht christlich sein, genauso wenig ein Gemälde oder eine andere Form von Hand- bzw. Kunstwerk. Hingegen was man damit beabsichtigt (z.B. Musik mit christlichen Texten), ist das, was es schliesslich kategorisiert. Aber genauso, wie man Bücher zu verschiedenen Themen lesen oder Filme verschiedenster Kategorien sehen kann, so ist auch Musik eine Form von Unterhaltung und Kunst, die man durchaus offenherzig und open minded erleben darf.

Wie bei allem, was ich konsumiere, ist es eine Frage meiner persönlichen Vorlieben. Gewisse Dinge mag ich, andere Sachen sagen mir nicht zu. Wenn ich mich folglich z.B. an den Texten einer bestimmten Band stosse, während andere damit klar kommen, ist es in meinem Ermessen, es einfach stehen zu lassen.


Ob ich nun ausschliesslich christlichen Metal höre oder eben auch säkularen, definiert höchstens meine Religiosität, nicht aber mein Christsein.