Aus einer Sammlung von:
- Aktuelle, sowie vergessene musikalische Perlen aus der Welt des Rock und Heavy Metal
- Lohnenswerte Filme
- Gedanken aus aktuellem Anlass

Mittwoch, 6. Mai 2015

Ich ...und die Anderen


Selbstlosigkeit, ein Wort, welches nicht nur alt, verbraucht oder gar esoterisch angehaucht klingt, sondern heutzutage auch komplett aus dem gesellschaftlichen Repertoire - und zwar in Wort und Tat - verschwunden zu sein scheint. Tatsächlich klingt das Wort uncool und ist in seiner praktischen Umsetzung unbequem. Ich meine, wer will schon etwas von sich selbst lösen bzw. aufgeben? Oder wer verzichtet schon freiwillig auf die eigenen Vorteile? Dann lieber: Wie du mir, so ich dir - ein einfaches Vergeltungsprinzip, welches wunderbar in der Gesellschaft funktioniert. Aber... was ist, wenn jemand nicht Gleiches mit Gleichem vergelten kann? Das Prinzip fängt an zu zerbröckeln.

Ein altes italienisches Sprichwort sagt: "Gib einem Armen und du machst ihn reich - Gib einem Reichen und du machst ihn arm". So simpel dies auch klingt, umso tiefere Weisheit verbirgt sich darin. Einem Armen (oder einem weniger Bevorteilten / Privilegierten) zu geben heisst nämlich nichts anderes, als im Wissen zu handeln, nichts auf gleicher Ebene zurück zu erhalten; es ist ein Handeln aus Selbstlosigkeit. Vergleichbar mit einer Mutter, die ihr Leben für ihr Kind einsetzt und bis zu dessen Selbständigkeit (und in den meisten Fällen darüber hinaus) sich selbstlos investiert. Es ist ein Handeln aus Agape, einem griechischen Begriff, den man als "göttlich inspirierte, uneigennützige Liebe" übersetzen kann.


Nun könnte man einwenden und sagen, welcher Dummkopf investiert schon ins Leere, in Etwas, wo man nicht einmal weiss, was oder ob jemals überhaupt etwas zurückkommt. Genau das ist eben der Punkt, darum heisst es selbstlos: man gibt, ohne etwas dafür zu verlangen - Risiko auf höchstem Niveau. Aber dieses Risiko birgt ein grosses Geheimnis in sich. Denn was man angeblich ins Nichts investiert hat, wird irgendwann einmal in irgend einer Form x-fältig zurückkommen. Nicht wie bei der Börse, nicht kalkuliert, sondern als Akt des gelassenen Vertrauens. Ich meine, welche Mutter verlangt jeden Cent, den sie jemals investiert hat, von ihrem Kind zurück? Nicht zu reden von Geduld, Zeit oder den Schmerzen und Tränen. Aber allein zu sehen, dass ihr Kind glücklich ist, ist ihr das alles Wert und überwiegt alles!

Selbstlosigkeit ist das Glück des Anderen und zugleich der grösste persönliche Kredit, den man überhaupt anhäufen kann. Selbstlosigkeit ist so mächtig, dass sie imstande ist, demjenigen, der alles hat, alles auszuziehen: Stolz, Habgier und Egoismus verkümmern im Angesicht der Selbstlosigkeit vor sich hin. Man stelle sich vor, wie ein Wohlhabender von einem Bettler beschenkt wird... klar, in sich ein Widerspruch, doch allein die Vorstellung ist für den Wohlhabenden eine Demütigung; sie sagt aus, dass trotz allem Besitz immer noch etwas fehlt.

Heisst das jetzt, dass man am Besten sich selbst aufgeben und alles verschenken soll? Natürlich nicht, das wäre künstlich, gesetzlich und komplett am Ziel vorbeigeschossen. Es heisst lediglich, dass man den eigenen eingeschränkten Horizont erweitert, sein Umfeld bewusster wahrnehmen lernt und "ds Füfi laht la grad sii" bzw. bedingungsloser handelt: Zum Beispiel einen Drink oder Snack spendieren, ohne die Erwartung haben zu müssen, dasselbe umgehend zurückzuerhalten. Oder auf den letzten geliebten Keks verzichten und ihn dem vorwitzigen Kind überlassen, auch wenn man weiss, dass dieses in jenem Moment womöglich nicht mal dankbar ist. Oder schlicht und einfach jemandem eine Freude machen - einfach so. Die Möglichkeiten sind unbegrenzt, der persönliche Kredit unverwüstlich.
Ja, etwas mehr Selbstlosigkeit - oder eben Agape, könnte diese egozentrierte Welt durchaus vertragen und würde sie zu einem angenehmeren Ort machen.


Montag, 4. Mai 2015

Filigrane Schweizer Technik


CORONER

Mental Vortex

(Metal, Technical Thrash Metal)


Die kleine, unscheinbare und im globalen Weltgeschehen kaum wahrnehmbare Schweiz - das Land der schönen Berge und Täler, der beliebten Milchschokolade, dem typisch grosslöcherigen Käse, den praktischen Taschenmessern und den präzisen Uhren. Und ja, der grossartigen Musik! Oder hat jemand die legendären Krokus vergessen? Oder Gotthard? Und während man mit Eluveitie bereits die nächste grosse CH-Band des extremen Musikbereichs weltweit feiert, hat zuerst noch eine andere Band, die man nur allzu oft übersieht und vergisst, eine Erwähnung verdient: Coroner. Seinerzeit noch als Roadies bei Celtic Frost engagiert, entschieden sich Tommy T. Baron (Tommy Vetterli) und Marquis Marky (Marky Edelmann) zusammen mit Ron Royce (Ron Broder) zur Gründung einer eigenen Band.

Während Celtic Frost mit ihrem düsteren, schweren und experimentellen Sound schliesslich sowohl den Black als auch den Death Metal nachhaltig mitprägten, steuerten Coroner in eine eindeutig technischere Richtung. Denn während die meisten Thrash Metal Bands Anno 87 sich zunehmend mit Geschwindigkeit und Härte um die Wette zu spielen schienen, lancierten die drei Zürcher mit "R.I.P." ein Debut auf den Markt, welches viele Kritiker mit offenem Mund zurückliess: rauh, schnell und technisch präzise wie ein Schweizer Uhrwerk vermischten Coroner klassische Musik und zuweilen sogar Jazzelemente in kompromisslosen Thrash Metal - Volltreffer! Und in den Nachfolgewerken "Punishment for Decadence" und "No More Color" steigerte man sich zunehmend, wurde noch komplexer und versierter und entwickelte sich so zu einem heissen Eisen im Untergrund und zu einer regelrechten Kultband.

Album Nummer 4 "Mental Vortex" aus dem Jahr 1991 wird von vielen Kritikern und Fans als das Referenzwerk (oftmals zusammen mit "No More Color") der Band angesehen. Tatsächlich fliesst in diesem Werk alles zusammen, was Coroner auf den bisherigen Alben auszeichnete. Der auffallendste Unterschied zu den bisherigen Alben ist die deutlich klarere und sauberere Produktion. Zudem wagen es die Schweizer hier nach drei kompromisslos schnell gezockten Alben das Tempo zu reduzieren und mit deutlich mehr Mid-Temponummern einem technisch makellosen und groovigen Sound ihren Stempel aufzudrücken. So klingen "Son of Lilith", "Semtex Revolution", "Sirens" oder das jazzige "Pale Sister" zwar etwas gedrosselt (zumindest was das Tempo anbelangt), dafür aber total heavy, kompromisslos und wuchtig an Riffs und groovig ohne Ende. "Metamorphosis" setzt dann all dem die Krone auf - besser könnte man Technical Thrash Metal nicht umschreiben. Doch auch die schnelleren Nummern "Devine Step" und "About Life" überzeugen restlos, zeichnen sich aber zusätzlich durch ihre Komplexität und durch ein ausgefeilteres Songwriting, welches hier einen vorläufigen Höhepunkt der Bandgeschichte erreicht, aus. Und als wäre dies noch nicht genug, so wird dieses Glanzalbum mit dem Beatles-Cover "I want You (She's so heavy)" abgerundet. Und ja, es klingt zwar total nach Coroner, ist aber in seinem Kern und Charme ganz klar erkennbar - schlichtweg top!


Ja, man glaubt es kaum, aber Qualität solchen Kalibers blieb Jahre, ja gar Jahrzehnte verkannt. Drei hochtalentierte Musiker, die einfach um ihre Anerkennung gebracht wurden, auch wenn sie von Insidern oder heute als stilbildend geltende Bands wie Death als Inspiration und mitunter als musikalischer Einfluss genannt wurden. Und auch wenn nach mangelnder Promotion, wenn nicht gar Ausbeutung von Seiten des Labels, die Band 1996 einen Strich unter die Rechnung machte und sich auflöste, entschied man sich 2010 zu einer Re-Union, nachdem Fans aus aller Welt die drei Herren unaufhörlich darum baten.

Um es auf den Punkt zu bringen: Wer nur annähernd etwas für Thrash Metal übrig hat, der sollte Coroner unbedingt eine Chance geben. Und wer technisch hochstehenden Thrash Metal mag, der kommt an dieser Band schlichtweg nicht vorbei. Für mich jedenfalls musikalisch das Grossartigste, was die Schweiz an metallischen Klängen je hervorgebracht hat - ja, isch so imfall.

Ach, und um noch eine augenzwinkernde Fussnote hinzuzufügen: Die letzten drei Alben (ebenfalls ab 2010) der heute erfolgreichsten Metalband der Schweiz Eluveitie wurden von niemand geringerem als von einem gewissen Tommy Vetterli produziert...

Punkte: 10 / 10

Credits: Noise Records 1991 / 2003 (Reissue) / Death Cult Switzerland 2013

Freitag, 1. Mai 2015

Slovakia rocks - welch ein Sturm!


SIGNUM REGIS 

  Through the Storm (EP)

(Metal, Melodic Metal, Power Metal, Heavy Metal)


Wer eine Vorliebe für melodischen Power Metal europäischer Prägung hat, dem ist vermutlich in den letzten Jahren der Name Signum Regis nicht entgangen. In der Tat konnten sie mit ihrem letzten Werk "Exodus" und ein paar Live-Auftritten an kleinen Festivals in Europa durchwegs positiv auf sich aufmerksam machen. Dass die Slowaken aber davor bereits zwei Alben veröffentlicht hatten und mit praktisch identischer Besetzung auch mit den weiteren Projekten Vindex und Trigger nicht weniger erwähnenswerte Alben vorzuweisen haben, dürfte nur wenigen bekannt sein. Dass diese beiden Projekte eingestellt wurden, liegt daran, dass es mit dem jeweiligen Sänger aus Kapazitätsgründen nicht klappte. Auch die beiden ersten Signum Regis Alben wurden mit dem Schweden Göran Edman eingesungen, der sich aber letztendlich nur als Session- bzw. Gastsänger erwies. Und nachdem man für "Exodus" auf eine ganze Reihe von Gastsängern zurückgriff, um die verschiedenen Geschichtsthemen möglichst vielseitig auszudrücken, war die Frage nach dem geeigneten, fixen Sänger immer noch nicht gelöst. Erst bei den Proben für Liveauftritte entdeckte man mit Mayo Petranin einen versierten Mann, der schliesslich als festes Mitglied in die Band aufgenommen wurde.

Was während den Probesessions (von denen übrigens ein paar Songs davon offiziell auf Youtube kursieren) und den Liveauftritten bereits überzeugend klang, findet sich nun auf der vorliegenden EP als definitive Feuerprobe wieder und die meistert Mayo nicht nur bravurös, sondern geradezu tadellos. Sein Gesang bewegt sich weniger in den hohen Tonlagen wie die von Göran Edman und praktisch allen Gastsängern auf "Exodus", ist dafür voluminöser und nachdrücklicher. Das ist womöglich der Hauptgrund, weshalb sich die neuen Songs vom bisherigen Material unterscheiden: weniger verspielt, direkter und zugänglicher. Dies mag den Kenner des bisherigen Signum Regis Materials womöglich erstaunen, da die neoklassischen und leicht progressiven Elemente der beiden ersten Scheiben nicht mehr im Vordergrund stehen.

So legen die Herren mit "Living Well" schon mal los wie die Feuerwehr. Die auffallend glasklare Produktion ist dabei nicht nur ein regelrechter Ohrenschmaus, sondern offenbart die diskussionslose Klasse der einzelnen Musiker. So tanzt Gitarrist Filip Kolus nicht nur in atemberaubender Geschwindigkeit, sondern zudem äusserst präzise über die Saiten, verliert sich dabei aber nicht einen einzigen Augenblick in sinnfreier Dudelei. Seine fetten Riffs mit neoklassischem Einschlag und seine Solos sind einfach ein wahrer Genuss. Untermauert wird dies durch Bassist Ronnie König, der nicht einfach nur den perfekten Rhythmusteppich legt, sondern sich mit seiner Fertigkeit immer wieder Läufe erlaubt, die einer zweiten Gitarre gleichkommen - also etwas, das man vor allem von dominanten Bassisten wie Steve Harris kennt. Und da braucht sich Herr König mit seinem Geschick keineswegs zu verstecken. Das Tempo wird durch den Taktgeber Jaro Jancula vorangetrieben, der sich keine Blösse gibt und sich souverän durch alle möglichen Taktwechsel und Breaks hindurch knüppelt. Jan Tupy agiert als Keyboarder zwar nur im Hintergrund, verleiht aber den Hooks im richtigen Moment die nötige Veredelung. Und nicht zuletzt Sänger Mayo Petranin, der bereits nach den ersten Tönen klarmacht, dass er perfekt in die Soundkulisse von Signum Regis passt.


Konnte der Opener mit seiner Schlichtheit und den eingängigen Melodien punkten und durch die erfrischende Spontaneität überzeugen, wird mit "Through the Desert, Through the Storm" alles auf den Punkt gebracht, was eine Heavy Metal Hymne ausmacht: Treibende Riffs im Mitnicktempo und ein Refrain, den man spätestens beim zweiten Durchgang am liebsten lauthals mitsingen will:

...through the desert, through the storm, in sharp wind I go 
raging fire, driving rain, a wild hurricane 
days of sorrow are now gone, I'll soon find my home 
no, you cannot stop me now, I am on my way...

Und weil es so toll war, wird mit "My Guide in the Night" umgehend grossartig nachgedoppelt - einfach fantastisch, herrlich! Und wenn bei "Come and take it" das Tempo etwas zurückgehalten wird und man sich schon auf eine Verschnaufpause eingestellt hat, so wird man hier regelrecht in die 80er versetzt - mit Hooks, welche problemlos aus der Feder eines Desmond Child (Songwriter und Produzent für Kiss, Bon Jovi, Aerosmith, Alice Cooper u.a.) stammen könnten. Mit "All Over the World" offenbart sich dem Kenner schliesslich eine neue Version eines beliebten Songs aus dem eigenen Debutalbum, den man hier einerseits produktionstechnisch in glänzender Form hört, andererseits Mayos Stimme dem Song einen eigenen Stempel aufsetzt. Und zum Schluss gibt's noch eine Coverversion von Malmsteens "Vengeance". Wer jetzt meint, das Coverversionen immer im Schatten des Originals stehen und Yngwie eh eine Schuhnummer zu gross ist, der darf sich gerne durch die technischen Fähigkeiten der 5 Slowaken eines Besseren belehren lassen...

Donnerwetter, Wahnsinn! Ja, das waren die ersten Gedanken, die mir durch den Kopf schossen, als ich diese EP zum ersten Mal hörte. Und selbst nach unzähligen Durchläufen fasziniert mich das Teil nach wie vor, versetzt mich in tolle Stimmung und ich kann kaum mehr aufhören, die Repeat-Taste zu drücken. Man spürt, wie viel Leidenschaft und Herzblut in dieses kleine Album geflossen sind und dabei nichts der blossen Zufriedenheit überlassen wurde: jede Note sitzt, jede Textzeile passt. Wer so grossartig komponiert und musiziert gehört einfach nicht länger unter den Scheffel, das wäre höchst sträflich.

Für mich jedenfalls der bisher beste Output von Signum Regis, welcher die Messlatte für den Ende dieses Jahres erscheinende Longplayer enorm hoch ansetzt. Aber wenn die Herren das Niveau der EP halten können, dann wird man es mit einem ernsthaften Kandidat für den engeren Kreis "Album des Jahres" zu tun haben - dafür bürge ich.


Punkte: 9.5 / 10

 Credits: Ulterium Records 2015